Thomas Widmer, Kaplan der Päpstlichen Schweizer Garde Thomas Widmer, Kaplan der Päpstlichen Schweizer Garde 

Unser Sonntag: Nur Gott kann rechtfertigen

Das Evangelium vom Pharisäer und vom Zöllner, die beide im Tempel beten, nimmt Kaplan Widmer zum Anlass, den Heiligen Augustinus zu zitieren: „derjenige, der dich ohne dich erschaffen hat, rechtfertigt oder rettet dich nicht ohne dich (Sermo 169,11).“ Der Zöllner im Evangelium macht durch einen inneren Anstoß den Schritt auf Gott hin.

 

Kaplan Thomas Widmer

Lk 18, 9-14


Jesus erzählt im heutigen Evangelium das Gleichnis zweier Männer, die in den Tempel gehen, um zu beten. Der eine ist ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Ihr Beten verrät ihre Herzenshaltung: Der Pharisäer präsentiert Gott im Gebet selbstgerecht seine guten Taten, welche über das im Gesetz Geschuldete hinausgehen.

Unser Sonntag - hier zum Nachhören

Im Gebet kommt auch seine Verachtung gegenüber dem Zöllner, der hinten im Tempel steht, zum Ausdruck. Der Pharisäer führt ein nach dem mosaischen Gesetz tadelloses Leben und erhofft sich, aufgrund seiner Gesetzestreue, seines Fastens und seiner karitativen Tätigkeit, von Gott belohnt und gerechtfertigt zu werden.

Misserfolg wird vom Volk Israel auf die Sünde zurückgeführt

Nach einem gewissen Verständnis des Volkes Israel ist Gerechtigkeit mit dem Segen Gottes und mit Wohlergehen verbunden, während Misserfolg auf die Sünde des Menschen zurückgeführt wird. Als Beispiel dafür könnte man auf die Männer verweisen, welche den gottesfürchtigen Hiob und seine Söhne für ihr Unglück verantwortlich machen. So deutet der eine, namens Bildad, etwa an, dass Hiobs Söhne wegen ihrer Sünden das Unglück verdient und Hiob selbst gottlos sei (vgl. Hi 8). Das sind Aussagen und Anschuldigungen, welche, wie sich dann herausstellt, Gott missfallen.

„Gott, sei mir Sünder gnädig“

Im Bewusstsein, dass er nach der pharisäischen Überzeugung hoffnungslos ist, bleibt ihm nur demütig seine Schuld vor Gott zu bereuen und über seine Lippen kommen nur die Worte: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ (Lk 18, 13). 

Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt

Dieses demütige Anerkennen seiner Sündhaftigkeit, dieses sich in die barmherzigen Arme Gottes werfen, war seine Rettung. Das Evangelium endet mit den Worten: „Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“(Lk 18, 14).
Zwei Gedanken sind mir beim Betrachten des heutigen Evangeliums wichtig geworden:
Erstens: Das heutige Evangelium zeigt sicher einmal auf, dass der Mensch sich nicht selbst gerecht sprechen kann.
Die Gemeinschaft aller Glaubenden ist seit den Anfängen davon überzeugt, dass Gott es ist, der gerecht macht. Die Rechtfertigung „ist das barmherzige und gnädige Handeln Gottes, das unsere Sünden tilgt und uns in unserem ganzen Wesen gerecht und heilig macht. Dies geschieht durch die Gnade des Heiligen Geistes, die uns durch das Leiden Christi verdient und in der Taufe geschenkt worden ist“ (Kompendium KKK 422).

Der Zöllner bereut seine Schuld...

Das bedeutet aber nicht, dass der Mensch nichts tun müsste, dass von ihm keine Entscheidung abverlangt wird. Wir kennen den Satz des heiligen Augustinus: „derjenige, der dich ohne dich erschaffen hat, rechtfertigt oder rettet dich nicht ohne dich (Sermo 169,11).“ Der Zöllner im Evangelium macht durch einen inneren Anstoß den Schritt auf Gott hin. Ja, er bereut die Schuld und mit dieser Reue ist der Vorsatz zur Besserung verbunden. Wer die Barmherzigkeit Gottes erfährt, wird von der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen neu entflammt und möchte auf die erfahrene göttliche Liebe antworten in der Konkretheit seines Alltags und seines Lebens, im Hinausgehen, im Dienen, im Zugehen auf andere Menschen. Diese konkret gelebte, hingebungsvolle Liebe des Menschen, mit der Liebe Christi vereint, bleibt nicht ohne Frucht und Segen.

...und zeigt auf das „Du“ Gottes

Und noch ein zweiter Gedanke, der eng mit dem ersten verbunden ist: Das heutige Evangelium vom Pharisäer und vom Zöllner, welche im Tempel beten, ruft eine Bewegung hervor. Es ist die Bewegung vom „Ich“ des Menschen zum „Du“ Gottes. Der Pharisäer steht für das „Ich“, das andere verachtet und verurteilt. Er steht ebenso für das „Ich“, das alles dem eigenen Verdienst zuschreibt. Der Pharisäer steht aber auch für das „Ich“, das nicht von Gott her denkt, sondern nach der, vielleicht im Mainstream der Zeit verhafteten, menschlichen Denkweise. Ist dies nicht auch heute die Gefahr, dass das „Du“ und auch das „Du“ Gottes verloren geht und an dessen Stelle das „Ich“ des eigenen subjektiven Empfindens tritt? Der Zöllner zeigt uns die Sichtweise auf das „Du“ Gottes. Nach pharisäischer Überzeugung kann er nichts erwarten. Trotzdem erwartet er alles vom Erbarmen Gottes und nichts von sich selbst. Dadurch geschieht es, dass er verwandelt und erneuert wird. 

„...denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.“

Von Gott her alles zu erwarten und von ihm her zu denken, das ist es, was uns der Zöllner heute mit seinem Gebet lehrt. Das ist es aber auch, was die Heiligen taten. So sagt die heilige Theresia von Lisieux einmal: „Die Heiligkeit besteht (…) in der Einstellung des Herzens, die uns in den Armen Gottes demütig und klein macht, in der wir uns unserer Schwachheit bewusst sind und bis zur Verwegenheit auf die Güte des Vaters vertrauen“ (aus „Die letzten Worte“ 3.8.1897).

Das tat auch Maria, die Muttergottes und unsere himmlische Mutter, der wir uns anvertrauen. Im Magnifikat kommt dies zum Ausdruck. Sie ruft aus: „Meine Seele preist die Grösse des Herrn, denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter, denn der Mächtige hat Grosses an mir getan und sein Name ist heilig.“(Lk 1, 46-49).
(vatican news - claudia kaminski)

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26. Oktober 2019, 11:00