Erzbischof de Moulins-Beaufort Erzbischof de Moulins-Beaufort  (AFP or licensors)

„Glaube für Mehrheit in Europa irrelevant“

Die Kirche ist nicht mehr die Mutter, die Menschen zum Leben im Geist befähigt; der Glaube ist „für die Mehrheit in Europa irrelevant geworden“.

Das sagte Éric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims, am Samstagabend beim traditionsreichen „Karlsamt“ im Frankfurter Dom. Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz war Gastzelebrant des diesjährigen Pontifikalamts.

„Die Kirche bietet den Staaten nicht mehr die Ressourcen der Sinngebung, des Trostes und des Engagements, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen“, so der Erzbischof. „Vielen erscheint sie als Relikt der Vergangenheit, die eher lästig ist als nützlich und heute, vor allem was die katholische Kirche betrifft, sogar als eine beunruhigende Kraft, deren gesellschaftlicher Nutzen durch die bisher vertuschten Verbrechen, die in ihrem Inneren begangen wurden, weitgehend geschmälert wird.“

Traditionsreicher Gottesdienst

Erstmals konnte das Karlsamt, zu dem mittelalterliche lateinische Gesänge gehören, wieder ohne Pandemie-Einschränkungen gefeiert werden. Die einzigartige Karlsamt-Liturgie mit mittelalterlichen Gesängen wird seit alters her nur in der Karlsstadt Aachen und in Frankfurt gefeiert, wo im Mittelalter die deutschen Kaiser gewählt wurden.

Inhaltlich fand Gastbischof de Moulins-Beaufort sowohl in der Predigt als auch beim Domgespräch am Nachmittag kritische und demütige Worte. Auch die katholische Kirche in Frankreich wird seit 2021 von Enthüllungen sexuellen Missbrauchs erschüttert – und ist seitdem auf einem ähnlichen Weg der Aufarbeitung wie Deutschland.

„In unserer Kirche wurde Missbrauch in sehr hoher Zahl entdeckt, und viel Gewalt“, sagte de Moulins-Beaufort am Nachmittag bei einem Podiumsgespräch. „Wahrscheinlich ist das einzig mögliche Zeichen, das wir als Kirche Christi geben können, in Demut unseren Weg fortzusetzen. Wir müssen uns um Betroffene kümmern und ihnen ihre Rechte wiedergeben, wo es möglich ist. Für das Geschehene gibt es keine Entschuldigung.“

„Jetzt wissen wir, dass Autorität Menschen verderben kann“

Alles, was zu ändern sei, gelte es nun zu ändern, um zu verhindern, dass Missbrauch nicht mehr stattfinden könne, so der Bischof. „Jetzt wissen wir, dass Autorität Menschen verderben kann – das ist wahr für die Kirche und die Gesellschaft und die ganze Menschheit. Wir wollen die Kirche von Christus sein und keine Kirche der Macht!“

Daneben klang auch immer wieder das Thema Versöhnung an, vor allem zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Frankreich und Deutschland. Erst vor wenigen Tagen wurde das 60. Jubiläum des Élysée-Vertrages gefeiert: Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle jenes Dokument, das 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Partnerschaft zwischen den beiden einst so verfeindeten Nachbarstaaten besiegelte und seither als Meilenstein in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen gilt.

Kirche als Kraft der Versöhnung

Doch auch an anderer Stelle gibt es nach Einschätzung des französischen Kirchenmanns Raum für Versöhnung: „Es scheint mir, dass es unsere Rolle als katholische Kirche sein könnte, Frankreich mit seiner Geschichte zu versöhnen, vor allem mit Algerien.“ Algerien war ab 1830 Frankreichs älteste und größte Kolonie und ist seit 1962 eigenständig.

Im Erzbistum Reims im Nordosten Frankreichs sind die Katholiken in großer Überzahl. Eine luxuriöse Situation, die allerdings auch große Verantwortung mit sich bringt. „Wir arbeiten in Reims an unserer guten Beziehung mit Juden, Muslimen und Buddhisten“, berichtete der Erzbischof. Auf der Ebene der Verantwortlichen funktioniere das sehr gut, es gebe mehrere Treffen pro Jahr und tiefe Beziehungen.

„Beziehungen zur Politik sind schwieriger geworden“

Auf politischer Ebene seien die Beziehungen allerdings schwieriger geworden, auch aufgrund eines neuen Gesetzes, das im August 2020 in Kraft getreten sei und das die Religionen stärker kontrolliere – aus Angst vor Radikalismus. Vor zehn Jahren habe der damalige Präsident Nicolas Sarkozy versucht, einen Rat der Muslime in Frankreich zu schaffen – doch aufgrund von Konflikten stellte der Rat die Arbeit ein. „Das ist eine große Herausforderung“, so de Moulins-Beaufort.

(bistum limburg – sk)
 

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29. Januar 2023, 09:26