Berlin: Auf der Friedhofs-„Quasselbank“ über die Hoffnung reden
Gudrun Sailer - Berlin
Ein Farbklecks der Gemütlichkeit an einem Ort, wo man ihn am wenigsten erwartet. Auf dem Friedhof St. Sebastian in Berlin-Reinickendorf hat die Seelsorgerin Luzia Hömberg ein einfaches, aber wirksames Zeichen gesetzt: eine Bank, auf der man reden kann, über wonach auch immer einem gerade ist, hier auf dem Friedhof. An diesem Ort, wo sonst Stille herrscht und Trauer, entsteht Nähe.
Luzia Hömberg, 62 Jahre alt, ist katholische Theologin und normalerweise Seelsorgerin im Krankenhaus. Sie sitzt jeden Donnerstag von ein bis vier Uhr auf dieser bunten Friedhofsbank – mit einer Tasse Kaffee, einer Keksdose, einem freundlichen Gesicht und manchmal mit Strickzeug. Sie lacht, wenn sie erzählt, wie einige Leute zunächst irritiert schauen:
„Manchmal sage ich nur guten Tag. Manchmal bleiben die Leute stehen und wundern sich und gucken auf das Plakat und sagen, was machen Sie denn hier? Oder wie heute Morgen, dass jemand sagt, na das sieht ja ganz gemütlich aus!“
Luzia Hömberg gibt gerne den Wegweiser zur Wasserstelle, aber vor allem ist sie ganz Ohr. „Und dann frage ich auch - manche haben ja Blumen dabei oder eine Gießkanne - , haben Sie viel zu tun oder hoffentlich hält sich das Wetter noch? Oder ich frage, wen besuchen Sie denn da? Manche Menschen erzählen dann auch sehr schnell, ich besuche hier meine Mutter, meine Frau, mein Kind, dann kommt manchmal sehr schnell die ganze Lebens- und Trauergeschichte, und manchmal bleibt es auch bei denen Kontakt über das Wetter oder ob die Begonien angewachsen sind. Und das ist ja auch ganz in Ordnung!“
Eine bürgerschaftliche Initiative
Entstanden ist die Idee der „Quasselbank“ in Zusammenarbeit mit dem Berliner Bezirk Reinickendorf. Dort gibt es eine Einsamkeitsbeauftragte – die erste in Deutschland, sagt Luzia Hömberg. Bezirk und Erzbistum haben dann einträchtig beschlossen, auch auf dem Friedhof eine der sogenannten Quasselbänke aufzustellen.
„Und so ist es dazu gekommen, dass das hier wirklich eine bürgerschaftliche Initiative ist, die hier auf dem katholischen Friedhof genau das Anliegen trifft, das wir hier auch haben, nämlich eine Gelegenheit zur Begegnung zu schaffen.“
„Einsamkeit ist ein Grundproblem in Berlin“, bestätigt Erzbischof Heiner Koch. „In so einer großen Stadt mit ihrer großen Anonymität, mit dem großen Wechsel der Bevölkerung, mit immer wieder neuen Herausforderungen, neuen Prägungen, sagen viele, auch laut Untersuchungen: Ich bin in dieser Stadt allein. Ich habe keine Beziehung von Herz zu Herz.“ Einsamkeit ist schließlich keine Frage der Zahl von Menschen rundherum, so der Berliner Erzbischof.
Als Kirche Heimat für alle sein - wie geht das?
„Man kann einsam in der einsamen Masse sein. Das erleben und erleiden viele. Für uns bedeutet das grundsätzlich die Frage: Sind wir als Kirche eine Gemeinschaft, die einander Gemeinschaft ist und wo man auch zu Hause ist, Heimat ist - und sind wir es für die Menschen, mit denen wir hier zusammenleben? Das halte ich für eine ganz fundamentale Frage als Dienst an den Menschen, aber auch als Verkündigungsweg.“
Einer, der an diesem Tag auf der Quasselbank Platz genommen hat, ist Georg Avramidis, Mitte vierzig, freundliche Augen, tätowierte Arme. Georg ist griechisch-orthodox, lebt schon lange in Berlin und pflegt das Grab seiner Eltern.
„Ich bin in tiefe Depressionen verfallen nach dem Tod meiner Eltern“, sagt er uns. „Und dann ist es wichtig, dass man mit Menschen in Verbindung kommt, die auch so etwas erlebt haben wie ich. Wir sitzen hier alle auf dem Friedhof in einem Boot. Deswegen ist das Gespräch hier so wichtig.“
Für Georg Avramidis ist die Quasselbank eine Einladung, die er dankbar annimmt – und die er allen empfehlen würde. „Die Leute wissen nicht so genau, wie sie mit dem Tod umgehen sollen. Jeder spürt, der andere will nichts davon wissen.“ In Berlin drücken viele den Gedanken ans Sterben einfach weg. Keine gute Idee, denkt der Deutsch-Grieche. „Das Ganze wird nochmal ein Thema, wo man selber älter wird und Schicksalsschläge erlebt. Dann kommen sehr große Ängste auf, weil man nie gelernt hat, in Hoffnung zu leben.“
In Hoffnung zu leben, also zu glauben, dass das Sterben nicht das Ende von allem, sondern der Anfang des ewigen Lebens ist – mit diesem Glaubensinhalt kann man die Leute, zumal in einer Stadt wie Berlin, nicht einfach überfallen. Luzia Hömberg ist sich dessen sehr bewusst. „Ich habe keinen Verkündigungsanspruch, wenn ich hier sitze. Es ist eher ein seelsorgliches Angebot, einfach erstmal den Menschen zu signalisieren: das hier ist eine Situation deines Lebens, in der du nicht allein sein musst.“
Viele seien einfach schon froh, die Geschichte des Menschen erzählen zu können, um den sie trauern. „Und das ist ja schon eine ganz wichtige Erfahrung. Das Leben ist mit dem Tod nicht vorbei. Die Bedeutung der Person, die Liebe, die Verbundenheit, das darf weiter lebendig sein und das kann auch weiter wirksam sein.“
Zugewandt und lebensfroh, so hört Luzia Hömberg zu. Und oft genügt das schon. „Das Vertrauen, dass unser Leben nicht einfach endet im Tod, sondern jedes Leben wertvoll bleibt bei Gott und da auch geborgen bleibt - das hoffe ich steht in meinem Gesicht und in meiner Haltung.“
(vatican news – gs)
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