Wofür steht Papst Leo? Sein erstes Interview gibt Aufschluss
Salvatore Cernuzio - Vatikanstadt
Als Papst wolle er „Brücken bauen“ und „die Polarisierungen, die es in der Welt und in der Kirche gibt, nicht noch weiter anheizen“. Mit diesen Worten umschreibt Leo XIV. seine Mission. Er beklagt die „schreckliche“ Situation in Gaza, gegenüber der „wir nicht abstumpfen dürfen“, und betont, der Heilige Stuhl sei derzeit nicht der Ansicht, „dass man eine Erklärung zur Definition von Genozid abgeben könne“.
Der Papst versichert außerdem, sich nicht in die Politik seines Heimatlandes USA einzumischen – doch „keine Angst“ zu haben, auch Präsident Trump gegenüber dringende Fragen anzusprechen. Zur China-Politik kündigt er Kontinuität an und erklärt, den Weg seiner Vorgänger fortsetzen zu wollen. In der Spur von Papst Franziskus will er Frauen in Leitungspositionen berufen, hält aber fest, dass sich die Lehre über die Priesterweihe von Frauen nicht ändern werde. Auch zur LGBTQ+-Frage äußert er sich: Es gebe eine „Aufnahme für alle, alle, alle“, aber „die Lehre der Kirche wird so bleiben, wie sie ist“.
Die Missbrauchsfälle bezeichnet Leo XIV. als „echte Krise“. Er fordert größtmögliche Nähe zu den Opfern, erinnert aber daran, dass es vereinzelt auch falsche Anschuldigungen gegeben habe. Bei der finanziellen Krise des Vatikans mahnt er zu Pragmatismus: Man solle nicht „jammern“, sondern weiter Pläne entwickeln. „Aber ich verliere deswegen nicht den Schlaf“, sagt er.
Das Gespräch mit Elise Ann Allen, die erste große Interviewäußerung seit seiner Wahl, ist im heute (18. September) erscheinenden Band „Leo XIV: ciudadano del mundo, misionero del siglo XXI“ in spanischer Sprache (Penguin Perú) veröffentlicht. Am 14. September, seinem 70. Geburtstag, waren erste Auszüge daraus vorgestellt worden.
Das Drama von Gaza
Gleich zu Beginn äußert sich der Papst zur Lage im Nahen Osten. „Obwohl die USA Druck auf Israel ausgeübt haben und Präsident Trump Erklärungen abgegeben hat, gab es keine klare Antwort, um das Leiden der Bevölkerung zu lindern“, sagt Leo XIV. Besonders Kinder litten Hunger und bräuchten künftig medizinische Hilfe und humanitäre Unterstützung. „Es ist schrecklich, diese Bilder im Fernsehen zu sehen… so viel Leid kann man kaum ertragen“, fügt er hinzu.
Zum häufigen Gebrauch des Begriffs „Genozid“ in Bezug auf Gaza erklärt der Papst: „Die Definition ist sehr technisch, und offiziell sieht der Heilige Stuhl derzeit keinen Grund für eine Stellungnahme.“ Dass die Debatte wächst, räumt er ein, auch weil israelische Menschenrechtsgruppen die Frage aufwerfen.
Beziehungen zu China
Mit Blick auf China betont der Papst, die langjährige Politik der vatikanischen Diplomatie fortzuführen. Er stehe im „ständigen Dialog mit verschiedenen chinesischen Gesprächspartnern“, um besser zu verstehen, wie die Kirche dort ihre Mission fortsetzen könne, „im Respekt vor Kultur und politischer Situation“. Besonders denke er an Katholiken, die „lange Jahre unter Schwierigkeiten litten, ihren Glauben frei zu leben“.
Die USA und Präsident Trump
Als erster Papst aus den Vereinigten Staaten glaubt Leo XIV. nicht, dass seine Herkunft die globale Politik maßgeblich beeinflusst. Aber sie könne die Beziehung zum US-Episkopat verbessern: „Man kann mir nicht vorwerfen, wie Franziskus, dass ich die USA nicht verstehe.“ Parteipolitik sei jedoch nicht seine Aufgabe: „Es ist Aufgabe der Kirchenleitung in den USA, mit dem Präsidenten im Gespräch zu sein. Aber wenn es spezifische Themen gibt, hätte ich kein Problem, sie selbst anzusprechen.“
Zu Donald Trump merkt der Papst an, dieser habe kürzlich erklärt, er wolle ihn nicht treffen. Der US-Präsident habe aber den mittleren der drei leiblichen Prevost-Brüder, Louis, als „guten Kerl“ bezeichnet, den er im Oval Office empfing. „Wir Brüder sind uns trotz politischer Unterschiede sehr nah“, sagt Leo XIV.
Missbrauchskrise in der Kirche
Zur Missbrauchsproblematik erklärt Leo XIV., über 90 Prozent der Vorwürfe stammten erwiesenermaßen von echten Opfern. „Aber es gab auch nachweislich falsche Anschuldigungen, die Leben zerstört haben“, so der Papst. Wichtig sei, die Rechte der Opfer wie auch der Beschuldigten zu achten. „Doch das zu sagen, verursacht manchmal noch mehr Leid.“
Er warnt davor, dass Missbrauch „zum einzigen Brennpunkt der Kirche“ werde: „Die große Mehrheit der Priester und Ordensleute hat nie jemanden missbraucht. Die Kirche darf nicht auf dieses eine Thema reduziert werden.“
LGBTQ+ und Frauen
Mit Blick auf LGBTQ+-Personen bekräftigt der Papst: „Alle sind eingeladen, nicht wegen einer spezifischen Identität, sondern weil alle Kinder Gottes sind.“ Das ändere jedoch nichts an der Lehre über Ehe und Sexualität: „Eine Familie besteht aus Mann und Frau, die im Sakrament der Ehe gesegnet sind.“
Auch zur Frage der Frauenordination äußerte sich der Papst klar: „Ich beabsichtige nicht, die Lehre zu ändern.“ Frauen sollen aber abseits der Priesterweihe weiterhin Führungsrollen in der Kirche übernehmen können.
Finanzen und Reformen
Zur wirtschaftlichen Situation der Kirche verweist der Papst auf Fortschritte, etwa ein positives Ergebnis von 60 Millionen Euro im Haushaltsbericht 2024. Probleme blieben, wie der Pensionsfonds oder die Rückschläge durch die Covid-Krise bei den Vatikanischen Museen. „Wir müssen falsche Entscheidungen wie im Fall des Londoner Immobiliengeschäfts vermeiden“, mahnt er. Doch trotz aller Herausforderungen: „Ich verliere darüber nicht den Schlaf.“
Reformen in der Kurie seien nötig, erklärt er, um „Abschottungen zwischen den Dikasterien“ aufzubrechen, die den Dialog behinderten.
Liturgie, Fake News und KI
Die Debatte um die tridentinische Messe bezeichnet Leo XIV. als „Problem“, weil die Liturgie politisch instrumentalisiert werde. Er kündigt Gespräche mit Anhängern des alten Ritus an – „mit synodaler Methode“.
Auch zur Flut falscher Nachrichten im Netz und zu Künstlicher Intelligenz bezieht er Position. „Fake News sind zerstörerisch“, sagt er und warnt vor den Gefahren einer digitalen Welt, die sich verselbstständige. Ein besonders drastisches Beispiel: Jemand habe ihn gefragt, ob er einen „künstlichen Papst“ als Avatar erlaube. Seine Antwort: „Das werde ich niemals genehmigen. Wenn es jemanden gibt, der nicht als Avatar dargestellt werden sollte, dann steht der Papst ganz oben auf der Liste.“
(vatican news - mg)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.
