Leo XIV. mit Erdogan in Ankara Leo XIV. mit Erdogan in Ankara

Papst Leo wirbt in Ankara für „plurale Gesellschaft“

Es war seine erste Rede auf türkischem Boden: Leo XIV. hat in Ankara für eine „plurale Gesellschaft“ geworben. Bei einem Auftritt im Komplex des Präsidentenpalastes kritisierte er das „Gesetz der Gewalt“ und erinnerte an die Rolle von Frauen in der Gesellschaft.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Es war Präsident Recep Tayyip Erdogan, der den Gast aus Rom vor seinem 1.150-Zimmer-Palast willkommen hieß. 21 Kanonenschüsse wurden abgefeuert und Hymnen intoniert, bevor die beiden ungleichen Staatschefs sich zu einem Gespräch zurückzogen. Leo war am Morgen von Rom aus zu seiner ersten Auslandsreise als Papst in die Türkei (offiziell Türkiye) aufgebrochen. Erdogan ist der Bauherr des gigantischen Palastes, der eine Fläche von 300.000 Quadratmetern für sich beansprucht.

In der Nationalbibliothek von Ankara, die zum Palastbereich gehört und in der Motive aus der Osmanen- und Seldschuken-Ära dominieren, hielt Leo XIV. dann eine Ansprache an Vertreter von Staat und Gesellschaft. Dabei würdigte er die Türkei zunächst für ihre reiche Geschichte und Kultur; sie zeige, „dass in der Begegnung zwischen unterschiedlichen Generationen, Traditionen und Ideen die großen Zivilisationen Gestalt annehmen“.

  (ANSA)

Leos Appell an Erdogan: „Unterschiede zur Geltung kommen lassen“

Die Türkei sei eine Brücke zwischen Asien und Europa; doch auch in ihrem Innern sei sie dazu aufgerufen, Gegensätze zu überbrücken und dabei „Unterschiede zur Geltung kommen zu lassen“. Dadurch solle sie „zu einem Begegnungsort verschiedener Empfindungsweisen (werden), deren Vereinheitlichung eine Verarmung darstellen würde“.

Leo fuhr fort: „Eine Gesellschaft ist nämlich dann lebendig, wenn sie plural ist: Es sind die Brücken zwischen ihren verschiedenen Seelen, die sie zu einer Zivilgesellschaft machen“. Näher ging der Papst auf die türkische Innenpolitik nicht ein. Der bekannteste Oppositionspolitiker, Ekrem İmamoğlu, sitzt seit März dieses Jahres in Haft; die Staatsanwaltschaft fordert für ihn mehr als 2.000 Jahre Haft, u.a. wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung.

  (ANSA)

Plädoyer für den „Beitrag der Frau“

Die Christen sähen sich, so fuhr Leo XIV. fort, als „Teil der türkischen Identität“ und wollten „positiv zur Einheit Ihres Landes beitragen“. Wegen des Prinzips des Laizismus, das sich aus der türkischen Verfassung ergibt, ist die katholische Kirche in der Türkei ohne gesicherten juristischen Status. Der Papst hob hervor, dass Religion in der (mehrheitlich muslimischen) türkischen Gesellschaft „eine sichtbare Rolle spielt“. Besonders wichtig sei es aber in einer solchen Gesellschaft, „die Würde und Freiheit aller Kinder Gottes zu achten: von Männern und Frauen, Landsleuten und Ausländern, Armen und Reichen“.

Lobende Worte fand der Papst dafür, dass die traditionelle Familie „mehr als in anderen Ländern in der türkischen Kultur von großer Bedeutung“ sei. Er verband das mit einem Plädoyer für den „Beitrag der Frau“. „Insbesondere die Frauen stellen sich durch ihr Studium und ihre aktive Teilnahme am beruflichen, kulturellen und politischen Leben zunehmend in den Dienst des Landes und seines positiven Einflusses auf internationaler Ebene. Daher sind die in diesem Sinne wichtigen Initiativen zur Unterstützung der Familie und des Beitrags der Frau zur vollen Entfaltung des sozialen Lebens sehr zu schätzen.“ Die Türkei ist 2021 auf Initiative Erdogans aus der „Istanbul-Konvention“ ausgetreten, die sich gegen Gewalt an Frauen richtet. Zur Begründung dieses Schritts gab Erdogan an, die Konvention schwäche die Familien.

  (ANSA)

„Die Türkei als Faktor der Stabilität und der Annäherung zwischen den Völkern“

Ausdrücklich kam Papst Leo auch auf die außenpolitische Rolle seines Gastlands zu sprechen: „Möge die Türkei ein Faktor der Stabilität und der Annäherung zwischen den Völkern sein, im Dienste eines gerechten und dauerhaften Friedens“. Erdogan versucht sein Land zwischen den Blöcken zu positionieren; sowohl im Gaza- wie im Ukraine-Konflikt gingen und gehen von der Türkei wichtige Friedensinitiativen aus.

„Nach der Zeit des Aufbaus der großen internationalen Organisationen, die auf die Tragödien der beiden Weltkriege folgte, durchleben wir derzeit eine Phase starker globaler Konflikte, in der Strategien der wirtschaftlichen und militärischen Macht vorherrschen... Wir dürfen dieser Entwicklung auf keinen Fall nachgeben! Es geht um die Zukunft der Menschheit.“

Moschee auf Papst-Medaille

Der türkische Präsident hatte Leo in einer längeren Ansprache herzlich begrüßt: Seine Reise werde „den Hoffnungen auf Frieden in der ganzen Welt Auftrieb geben“. In vielen türkischen Dörfern stünden Moscheen und Kirchen „friedlich nebeneinander“, und Unterschiede – ob religiöse oder andere – seien „kein Element der Spaltung, sondern Elemente, die uns untereinander verbinden“. Erdogan sprach auch internationale Konflikte an: Sein Land habe selbstlos syrische Flüchtlinge aufgenommen und zwischen Russland und der Ukraine vermittelt, es stehe auch (wie der Vatikan) für eine Zweistaatenlösung Israel-Palästina ein. 

Der Papst schenkte Erdogan eine Medaille, die aus Anlass seiner Reise geprägt wurde. Auf ihr sind u.a. die Minarette der Blauen Moschee von Istanbul zu sehen, der Stadt, in der Erdogan in den neunziger Jahren vor seinem Aufstieg an die Spitze des Staates Oberbürgermeister war. Am Samstagmorgen wird Leo XIV. diese Moschee besuchen.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

27. November 2025, 14:36