Weltreffen Sozialer Bewegungen: „Kirche als Verbündete“
Christine Seuss - Vatikanstadt
Wie Lis erklärte, habe der Papst mit seinem Bekenntnis zu den Anliegen der Bewegung auch die Verpflichtung ausgesprochen, dass die Kirche selbst eine „Kirche an der Seite der Armen“ sein müsse – eine arme, mutige und prophetische Kirche, die sich aktiv für Gerechtigkeit einsetze.
Die Geschäftsführerin des Münsteraner Instituts betonte, dass Papst Leo die gegenwärtige Situation als eine „Globalisierung der Ohnmacht“ beschrieben habe. Damit habe er eine neue Diagnose der Zeit gestellt, die an Franziskus’ Begriff der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ anknüpfe, diesen aber vertiefe. Es gehe, so Lis, nicht mehr nur um das gleichgültige Wegsehen, sondern um das Gefühl vieler Menschen, nichts mehr verändern zu können. Der Papst habe darauf hingewiesen, dass es zunehmend schwer sei, Handlungsspielräume zu finden, in denen Menschen wirksam werden können.
Zugleich habe Leo XIV. neue gesellschaftliche Herausforderungen benannt und eigene Akzente gesetzt. Lis erklärte, der us-amerikanische Papst habe die Gefahren digitaler Technologien und sogenannter grüner Energien thematisiert, die zwar im Westen als nachhaltig gelten, im globalen Süden jedoch oft neue Formen der Ausbeutung und Abhängigkeit schüfen. Besonders deutlich sei seine Kritik am Rohstoffabbau gewesen: Er habe Coltan und Lithium – das „weiße Gold“ – als Beispiele für neokoloniale Strukturen genannt, die zu kriegerischen Konflikten führten.
Scharfe Kritik an westlicher Migrationspolitik
Große Beachtung habe nach Ansicht von Lis auch die scharfe Kritik des Papstes an der westlichen Migrationspolitik gefunden. Leo XIV. habe betont, dass Staaten heute im Umgang mit Migranten Verbrechen begingen oder duldeten, die gegen die Menschlichkeit gerichtet seien. Diese Worte seien nach Auffassung der Teilnehmenden vor allem an Europa und die USA adressiert gewesen. Darin zeige sich auch, dass Leo aus der Perspektive des globalen Südens denke und die Kirche auffordere, von den Rändern her auf die Welt zu schauen, analysierte Lis.
Darüber hinaus habe der Papst Themen angesprochen, die bisher seltener im Zentrum sozialer Bewegungen standen, etwa die Kommerzialisierung des Körpers und der Gesundheit. Lis erklärte, Papst Leo habe die Praktiken der Pharmaindustrie kritisiert, die menschliches Leiden zur Ware mache und Abhängigkeit produziere. Damit habe er auf eine gefährliche Tendenz hingewiesen, den menschlichen Körper zunehmend wirtschaftlich zu instrumentalisieren. Diese Fragen sollten auch in Europa und besonders in Deutschland stärker aufgegriffen werden, so Lis.
Leo, ein Sozialist?
Auf die Frage, ob Papst Leo angesichts seiner Sozialkritik gar als Sozialist zu bezeichnen sei, antwortete Lis, dies hänge vom Begriffsverständnis ab. Wenn Sozialismus bedeute, sich für Gleichheit, Gerechtigkeit und das Wohl der Menschen einzusetzen, könne man ihn so nennen. Politisch verstehe sich der Papst jedoch nicht als Ideologe oder Programmgeber, sondern als Begleiter von Bewegungen „von unten“. Sein Bezugspunkt bleibe – wie von seinem Vorgänger Franziskus öfters erwähnt - die Bergpredigt. Lis sah darin eine klare Verbindung zur befreiungstheologischen Tradition, in der christliche Geschwisterlichkeit nicht nur spirituell, sondern auch gesellschaftlich und strukturell verwirklicht werden müsse.
Sie erklärte weiter, dass das Welttreffen unter den Leitbegriffen „Terra, Techo, Trabajo“ – Land, Unterkunft, Arbeit – stehe, die bereits unter Franziskus prägend gewesen seien. Diese Grundbedürfnisse blieben weltweit oftmals unerfüllt und seien die gemeinsame Basis der teilnehmenden Gruppen. Die Bewegungen üben eine eine deutliche Kritik an kapitalistischen Strukturen, an Militarisierung und autoritären Entwicklungen. Besonders präsent sei die Solidarität mit Gaza gewesen, erläuterte Lis. Sie betonte, dass viele Aktivisten die Kirche inzwischen als Verbündete betrachteten – eine Entwicklung, die auf den offenen Dialog zurückgehe, den Franziskus begonnen habe und den Leo fortsetze.
Treffen in einem besetzten Gebäude
Lis beschrieb auch die besondere Atmosphäre des Treffens, das im besetzten „Time Spin Lab“ in Rom stattfindet. Sie meinte, der Ort sei sinnbildlich für den Geist des Treffens: Hier begegneten sich Bischöfe, Ordensleute, Aktivisten und Geflüchtete auf Augenhöhe, um gemeinsam über globale Ungerechtigkeiten zu diskutieren und nach konkreten Wegen der Veränderung zu suchen.
Für die Kirche in Deutschland sah Lis in diesem Treffen einen wichtigen Impuls. Sie erklärte, es gehe darum, aus internen Reformdebatten herauszutreten und sich wieder stärker den sozialen und globalen Realitäten zuzuwenden. Die Kirche müsse sich fragen, wo sie selbst Teil von Veränderungsprozessen sein könne, und den Dialog mit sozialen Bewegungen suchen – auch dort, wo Engagement unbequem sei. Eine stärkere weltkirchliche Perspektive sei nötig: Man müsse lernen, die globalen Verflechtungen von Ungerechtigkeiten zu erkennen, vom globalen Süden zu lernen und gemeinsam Wege der Solidarität zu entwickeln. Nur so könne die Kirche ihrem Auftrag als Stimme für Leben, Liebe und Gerechtigkeit gerecht werden.
(vatican news)
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