Nuntius in der Türkei: Treffen in Nizäa ein historischer Schritt
Christine Seuss – Vatikanstadt
Er denke, dass „die gemeinsam erlebten Momente zweifellos einen ökumenischen Weg zum gemeinsamen Ziel fördern werden”: Das sagte uns der Apostolische Nuntius in der Türkei, Erzbischof Marek Solczynski, als er mit ein wenig Abstand zur Ende November erfolgten Reise von Papst Leo XIV. in die Türkei über deren Früchte nachdenkt. Aus ökumenischer Sicht stelle dieser Besuch „ein Ereignis von historischer Bedeutung” dar, vor allem wegen der Begegnung in Iznik, dem antiken Nicäa, 1700 Jahre nach dem Konzil, das damals von einer noch ungeteilten Kirche gefeiert wurde.
Im Folgenden das Interview in voller Länge:
Exzellenz, welche Botschaft geht von dieser ersten Apostolischen Reise von Papst Leo aus, die ihn zunächst in die Türkei geführt hat?
Erzbischof Marek Solczynski (Apostolischer Nuntius in der Türkei): „Zunächst einmal hat Papst Leo den Wunsch seines Vorgängers Papst Franziskus erfüllt, der seinen Besuch in Iznik, dem antiken Nizäa, als einzige Auslandsreise in das Programm des Jubiläumsjahres aufgenommen hatte. Dieser ursprüngliche Wunsch fand sofort positives Echo bei den türkischen Behörden, die diese Reise von Anfang an unterstützt haben. Nach seiner Wahl bestätigte auch Papst Leo den Besuch in Iznik sofort in seinem Terminkalender. Und wieder war es der Präsident der Republik selbst, der den Besuch des Papstes befürwortete. Da es sich um den ersten Besuch des neuen Papstes in der Türkei handelte, wurde natürlich auch die Form der Reise harmonisiert und verlängert. Daher könnte die erste Botschaft, die sich daraus ergibt, das Zusammentreffen von Sensibilität, Glaubensbekenntnissen und kooperativer Offenheit sein, welche darauf abzielen, gemeinsame Werte wie vor allem den Frieden in der Region und in der Welt zu integrieren.“
Der Hauptgrund für die Reise des Papstes war, wie Sie erwähnten, eine wichtige ökumenische Gedenkfeier, nämlich das 1700-jährige Jubiläum des Ersten Konzils von Nizäa. Während des Aufenthalts des Papstes fanden auch wichtige Gespräche zwischen verschiedenen Konfessionen statt. Welche Entwicklungen können wir erwarten?
Erzbischof Marek Solczynski: „Das Ereignis in Iznik war wirklich von historischer Bedeutung und wird, wie wir alle hoffen, sehr positive Auswirkungen auf den Weg zur Einheit der Christen haben. Tatsächlich spielte der ökumenische Aspekt eine sehr wichtige Rolle auf dieser Reise. Nach Iznik traf der Papst nämlich mit christlichen Führern aus aller Welt zusammen, um die Zustimmung ihrer Gemeinschaften zum Symbol des nizänischen Glaubens (das Glaubensbekenntnis, Anm.) zu bekunden, welches, wie wir wissen, die christliche Welt eint. Nicht zuletzt beendete der Papst seinen Besuch im Phanar, dem griechischen Viertel von Istanbul, dem Sitz des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel. Dort nahm er zusammen mit Bartholomäus I. an der Göttlichen Liturgie in der Kathedrale St. Georg teil. Ich denke, dass solche gemeinsam erlebten Momente sicherlich einen ökumenischen Weg zum gemeinsamen Ziel begünstigen können.“
Das religiöse Leben in einem per Definition säkularen Staat ist nicht immer einfach. Wie verlief die Organisation mit den türkischen Behörden?
Erzbischof Marek Solczynski: „Mir wurde gesagt, dass es zum ersten Mal in der Geschichte der Papstbesuche in der Türkei gelungen ist, die verschiedenen Behörden viel direkter in die logistische und mediale Organisation der Reise einzubeziehen. Es ist kein Geheimnis, dass dies vor allem dank der erklärten Bereitschaft des Präsidenten der Türkischen Republik möglich war, die Reise des Papstes zu unterstützen. So hat der nationale Fernsehsender TRT zum ersten Mal das gesamte Ereignis aufgenommen und weltweit übertragen: von der Landung in Ankara bis zur Abreise aus Istanbul. Die türkischen Nachrichtenagenturen waren nicht nur beim protokollarischen Teil der Reise, sondern auch beim vorwiegend pastoralen Teil des Besuchs massiv vertreten. Für diese vorbildliche Zusammenarbeit möchte ich der Türkei erneut danken.“
Bei mehreren Gelegenheiten haben Geistliche und Bischöfe, als wir mit ihnen sprachen, die Dringlichkeit einer ausdrücklichen Anerkennung der katholischen Kirche als juristische Person betont. Glauben Sie, dass mit dieser Reise ein Schritt in diese Richtung getan wurde?
Erzbischof Marek Solczynski: „Auf jeden Fall. Als ich die wunderschönen Drohnenaufnahmen über den Ufern des Nizäa-Sees sah, dachte ich mir, dass in Iznik die türkischen Medien auch bereit waren, sich wieder mit der Geschichte auseinanderzusetzen, um etwas von der Bedeutung zu verstehen, die die Christen dieser archäologischen Stätte und, warum nicht, auch diesen anatolischen Gebieten beimessen. Und vielleicht haben sie entdeckt, dass Nizäa auch Teil ihrer Geschichte ist, nicht nur der Geschichte der Christen. All dies lässt mich hoffen, dass sich das Narrativ zur christlichen Präsenz ändern könnte.“
Was hat Sie während des Besuchs am meisten überrascht? Möchten Sie uns eine vielleicht unerwartete Reaktion der Gläubigen beschreiben, oder eine plötzliche Programmänderung, die Sie vielleicht besonders beeindruckt hat?
Erzbischof Marek Solczynski: „Es gab viele Überraschungen, aber die größte war die Messe in der Volkswagen Arena in Istanbul, die live von TRT World übertragen wurde. Zum ersten Mal hat ein Papst bei einem Besuch in der Türkei die Eucharistiefeier außerhalb eines katholischen Gotteshauses abgehalten. Und zum ersten Mal wurde der Welt ein öffentliches Bild der türkischen Christen vermittelt. Es war eine schlichte, andächtige Veranstaltung ohne jegliche Spektakularität. Bereits in den Klängen der Gesänge, im Psalm, trafen die östliche Welt, die aramäische, die armenische und die westliche Welt aufeinander. Die Wirkung war positiv, denn auch die nichtchristlichen Türken konnten darin etwas vom Reichtum ihres Landes erkennen. Auch die abschließenden Danksagungen, die sich auch an die Präsidentschaft der Republik für die logistische und organisatorische Unterstützung richteten, beeindruckten das türkische Publikum. Und dies war keine interessegeleitete Hommage in Antwort auf eine captatio benevolentiae, sondern die Anerkennung einer echten Hilfe, denn ohne die tatkräftige Unterstützung der politischen Behörden wäre diese Veranstaltung materiell nicht möglich gewesen.“
Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre für die katholischen und christlichen Gläubigen in der Türkei?
Erzbischof Marek Solczynski: „Eine erste spontane Überlegung ist, dass es notwendig wäre, über die Rückzugshaltung der Gemeinschaften, die auf ethnischen und rituellen Identitäten basieren, hinauszugehen. Denn was uns verbindet, ist das Ostergeheimnis, wie wir es während der Papstmesse erlebt haben. Heute wird die katholische Kirche in der Türkei immer ,türkischer‘: Die türkische Sprache wird in unseren Versammlungen zur Mehrheitssprache. Und unsere Gläubigen sind türkische Staatsbürger, oft sogar Türken. Tatsächlich sind heute alle Ordinarien türkische Staatsbürger. Auch die Gläubigen werden sich als Staatsbürger und Christen fühlen, ohne sich entscheiden zu müssen.“
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.