Italien: Extreme Lage im Flüchtlings-Hotspot Lampedusa
Marco Guerra und Anne Preckel
In den letzten Wochen hatte die Zahl der Flüchtlinge auf Lampedusa wieder zugenommen. Paolo Naso vom Hilfsprogramm der evangelischen Kirchen „Mediterranean Hope“ erklärt im Interview mit uns, warum derzeit auch viele Migranten aus Tunesien in Italien ankommen:
„Tunesien ist ein befreundetes Land Italiens, erlebt aber derzeit eine schwere Krise. Es gibt keine klare Perspektive und keine ernsthafte Kooperation zwischen den Ländern. Und so kommen die Boote an, was dramatisch ist für Italien, für Europa und für Tunesien.“
Der Lockdown in der Corona-Krise hatte der tunesischen Wirtschaft im Frühjahr einen schweren Schlag versetzt. Im Sommer blieben zusätzlich die Touristen weg, was tausendfach Arbeitsplätze kostete. Versuche Italiens, Tunesien dazu zu bewegen, dem Fluss illegaler Migranten Richtung Italien einen Riegel vorzuschieben, haben bislang kaum gefruchtet.
Auf Lampedusa kamen allein zwischen Freitag und Samstag rund 500 Migranten mit mehreren kleineren Booten an. Zusätzlich gingen am Samstag weitere 49 Migranten an Land, die das unter deutscher Flagge fahrende Rettungsschiff „Louise Michel“ im Meer aufgelesen hatte. Über die Situation vor Ort sagt Paolo Naso:
„Die Lage ist dramatisch - ohne Zweifel dramatisch für die Immigranten, die nach langer Reise völlig erschöpft ankommen und die eine Situation vorfinden, die nicht dem Standard entspricht, der für einen Empfang von Migranten in Italien eigentlich vorgesehen wäre. Doch auch für die Bewohner von Lampedusa ist die Situation schwierig, denn ihre Insel schafft es nicht, zu Normalität und Stabilität zu finden. Die Emotionen der Einwohner schlagen hoch.“
Die Belastung der Gemeinde und lokalen Behörden war zuletzt so groß, dass Lampedusa mit einem Streik drohte, sollte die Regierung nicht eingreifen. „Die Lage ist untragbar, wir liegen auf den Knien“, brachte der Inselbürgermeister Totò Martello es auf den Punkt. Mit den Neuankünften sei die Zahl der Flüchtlinge im Aufnahmezentrum auf mehr als 1.500 gestiegen, zudem wurden in dem völlig überfüllten Zentrum mehrere Dutzend Corona-Infektionen festgestellt.
Nach den Unmutsbekundungen kam am Sonntag endlich eine Zusage aus Rom: Italiens Präsident Giuseppe Conte und die Innenministerin Luciana Lamorgese sagten die Entsendung dreier „Quarantäneschiffe“ zu. Die Evakuierung ist laut Medienberichten inzwischen angelaufen, hunderte von Flüchtlingen sollen weggebracht und versorgt werden.
Was allerdings weiter fehlt, ist ein verbindliches europäisches Abkommen über die Aufnahme der Mittelmeerflüchtlinge in Europa und auch deren Rettung auf dem Mittelmeer. Einen solchen Mechanismus fordern die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR schon lange. Sie hatten die italienischen Behörden zuletzt dazu aufgerufen, den Landgang der Migranten der privaten Rettungsschiffe „Sea-Watch 4“ und der „Louis Michel“ unverzüglich zu gewähren. Italien sieht sich hingegen von Europa mit dem Flüchtlingsproblem allein gelassen und hatte zwischenzeitlich sogar seine Häfen geschlossen.
„Mediterranean Hope “ ist ein Programm der evangelischen Kirchen, die seit 2013 in Lampedusa aktiv sind. Wie die katholischen Partner wünscht sich das Hilfsprogramm sichere Kanäle der regulären Einreise für Flüchtlinge und Migranten nach Europa und eine solidarischere europäische Asyl- und Migrationspolitik.
(vatican news/diverse – pr)
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