Blick auf Beirut Blick auf Beirut 

Libanon: „Zusammenleben ist stärker als Konflikte“

Das stille Gebet von Papst Leo XIV. im Hafen von Beirut, am Ort der Explosion von 2020, wird „wichtig sein, weil es uns allen, der gesamten Gemeinschaft, helfen wird, die Wunden dieses tragischen Ereignisses zu heilen“.

Francesca Sabatinelli – Vatikanstadt

Das sagte der libanesische Vize-Regierungschef Tarek Mitri jetzt bei einem Rombesuch im Gespräch mit Radio Vatikan. Papst Leo wird in vier Wochen auf seiner ersten Auslandsreise, die ihn auch in die Türkei führt, vom 30. November bis 2. Dezember den Libanon besuchen. Das unlängst veröffentlichte Programm sieht ein Gebet des Papstes am Ort der Explosion vor, bei der vor fünf Jahren 218 Menschen ums Leben kamen und weitere 7.000 verletzt wurden.

„Der Papst wird seine Aufmerksamkeit und seine spirituelle Unterstützung für die Opfer der Explosion zeigen. Dieses Unglück hat tiefe Narben in den Familien hinterlassen, vielleicht sogar bei allen Libanesen; die Ursache wird noch untersucht. Wir als Regierung tun alles, um die Justiz zu unterstützen, die im Libanon wie in vielen anderen demokratischen Ländern unabhängig ist. Wir unterstützen sie, damit sie ihre Arbeit so schnell wie möglich erledigen kann.“

„Dieses Unglück hat tiefe Narben in den Familien hinterlassen, vielleicht sogar bei allen Libanesen“


Mitri macht keinen Hehl daraus, dass die Ermittlungen „äußerst schwierig und sehr langsam“ waren. Fünf Jahre später seien die Gründe für die Tragödie noch immer nicht bekannt: „Man weiß nicht, wer die Personen, Gruppen oder Länder sind, die hinter dem Geschehen stehen, oder ob es sich nur um einen Unfall handelte und in diesem Fall die Fahrlässigkeit ebenfalls eine Art Straftat darstellt“.

Mitri ist griechisch-orthodoxer Christ und Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen. Er weist darauf hin, dass der Papst sich im Zentrum von Beirut aufhalten wird: einem Ort, der „das Schlachtfeld aller Bürgerkriege im Libanon war“.

Immer noch vom Krieg gezeichnet

„Leo XIV. wird junge Menschen treffen, die den Krieg nicht erlebt haben, aber in gewisser Weise auch von ihm in Mitleidenschaft gezogen wurden, auch aufgrund der zahlreichen Konflikte, die der Libanon seitdem durchlebt hat. Vom Papst erwarten sie ein Wort des Friedens und die Bestätigung, dass der Libanon nach wie vor ein Land ist, in dem Dialog und Zusammenleben möglich sind, weil diese trotz aller Gewalt zwischen den Gemeinschaften, die wir erleben mussten, nie aufgehört haben. Kein Libanese würde jemals sagen, dass wir nicht mehr in der Lage wären, zusammenzuleben! Letztendlich war das Zusammenleben also stärker als unsere Konflikte.“

Libanon vor dem Papstbesuch - ein Interview von Radio Vatikan mit Tarek Mitri


Der Dialog des Lebens

Schließlich sei der Libanon geprägt von dem, was seine Bürger selbst als „Dialog des Lebens“ bezeichneten: Menschen, die trotz allem weiterhin zusammenleben und noch immer viele Werte, auch religiöser Herkunft, teilen.

„Sie haben die gleichen Ansichten über das Leben, den Tod, die Liebe, die Barmherzigkeit Gottes, vielleicht verwenden sie unterschiedliche Sprachen, aber die Werte sind dieselben. Hinzu kommt die Anthropologie des Zusammenlebens mit denselben Gewohnheiten und derselben Ernährung. Ich bin Jahrgang 1950 – meine Generation hatte immer Freunde unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Wir wussten oft gar nicht, ob unsere Freunde Muslime oder Christen waren, denn Freundschaft war ein starkes Band, das unsere Unterschiede überwand.“


Religionen in Konflikten

Was die heutige Zeit betrifft, sieht Mitri eigentlich kein Problem zwischen den Religionen. Vielmehr sei es so, dass Parteien religiöse Gefühle, manchmal sogar religiöse Ideen und Lehren instrumentalisierten.

„Es ist darum wichtig, religiöse Einmischung aus politischen Konflikten zu verbannen und Religion vielmehr als eine Ressource für den Frieden zu nutzen, nicht als Mittel, um den Konflikt zu verschärfen. Die Grundlage für einen Großteil der heutigen Gewalt, sei es durch Kriege oder interne Konflikte, ist die Bekräftigung unserer Besonderheit gegenüber dem anderen, sei es durch Überlegenheit oder Angst vor Unterlegenheit. Konflikte können also eine religiöse Dimension haben, auch wenn es sich nicht um Religionskriege handelt. Man streitet nicht um die Lehre, darum, wer gerettet wird oder wer auf dem richtigen Weg zur Erlösung ist. Das ist nicht der Grund für die Auseinandersetzungen, sondern man streitet um Land, um Interessen, um Grenzen. Und um Identität. Und dann kommt die Religion als zusätzliche Dimension zu diesen Konflikten ins Spiel.“


Gerechtigkeit, Wahrheit - und Vergebung

Mitri kann auf eine lange Karriere als Vermittler zurückblicken; so war er etwa von 2012 bis 2014 Sonderbeauftragter und Leiter der UN-Unterstützungsmission in Libyen. Für ihn ist es von grundlegender Bedeutung zu erkennen, dass Frieden nur erreicht werden könne, wenn man sich an die Ursachen von Konflikten herantraue.

„Oft hängen diese Ursachen mit dem Thema Gerechtigkeit zusammen. Auch die Wahrheit ist ebenso wichtig, da Gerechtigkeit und Wahrheit untrennbar miteinander verbunden sind. Und wenn von Wahrheit die Rede ist, ist auch von der Möglichkeit der Vergebung die Rede, die wiederum ein Korrektiv zu einem engen Verständnis von Gerechtigkeit darstellt. Wenn das Opfer dem Unterdrücker vergibt, dann beruhigt sich alles und man kann sicher sein, dass sich die Konflikte, die die Gesellschaft gespalten haben, nicht wiederholen werden.“

(vatican news)
 

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30. Oktober 2025, 10:57