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Bei der szenischen Darstellung der Passion Christi in Oberammergau (Aufnahme vom Mai 2022) sind Bezüge zum Christentum deutlich - aber auch bei den Wagner-Festspielen gibt es sie Bei der szenischen Darstellung der Passion Christi in Oberammergau (Aufnahme vom Mai 2022) sind Bezüge zum Christentum deutlich - aber auch bei den Wagner-Festspielen gibt es sie  (ANSA)

D: Wagner-Festspiele auch theologisch interessant

Vor fast einem Monat sind die diesjährigen Wagner-Festspiele in Bayreuth gestartet. Aus theologischer Perspektive ist „Parsifal" interessant, erklärt der Theologe und Theaterfachmann Marcus Leitschuh im Interview.

im Interview mit Heike Sicconi vom Kälner Domradio sagt der Experte, auf die Frage, ob sich die stundenlange Richard Wagner Opern mitten im Hochsommer, ohne Klimaanlage, auf Holzklappsitzen lohnt:

Marcus Leitschuh (Theologe und Theaterfachmann): Es lohnt sich, wenn man das mag. Man weiß, was auf einen zukommt. Man hat auch eine Art von Leidensgenossenschaft mit seinen Nachbarn. Man schwitzt richtig. Die längste Zeit ohne Pause sind zweieinhalb Stunden. Ansonsten gibt es ungefähr nach einer Stunde immer eine Pause. Dann kann man raus an die Luft. Aber es ist etwas ganz Besonderes.

DOMRADIO.DE: Was macht den Parsifal aus theologischer Perspektive so interessant?

„Diese Mythologie hat ganz klare Anklänge an einen christlichen Gottesdienst“

Leitschuh: Es geht, wenn man es ganz kurz fasst, um ein altes mittelalterliches Mysterium: um den Heiligen Gral. Den Kelch, in dem angeblich das letzte Blut Jesu Christi aufgefangen wurde, das heruntertropfte, als er am Kreuz hing und aus dem er auch schon beim letzten Abendmahl getrunken hat. Diese Mythologie hat natürlich ganz klare Anklänge an einen christlichen Gottesdienst, an das letzte Abendmahl. Es gibt aber auch andere Quellen, die nicht ganz so religiös sind.

DOMRADIO.DE: Den Parsifal konnte man sich jetzt erstmalig mit einer Augmented Reality-Brille angucken, das bedeutet erweiterte Realität. Um was wurde die Realität erweitert?

Leitschuh: Man hat kleine Pünktchen zum Beispiel gesehen, die dreidimensional im Zuschauerraum und auf der Bühne vor den Augen herumflogen, wie kleine Mai- oder Leuchtkäfer. Oder es waren Plastikflaschen und Müll und allerlei Symbolik zu sehen. Es war tatsächlich nicht so ganz notwendig für die Inszenierung. Es gab auch nicht für alle Zuschauer Brillen. Von daher waren sie irgendwie auch überflüssig.

Applaus ja oder nein?

DOMRADIO.DE: Oft wird die Oper, die Wagner selbst als Bühnen-Weih-Festspiel bezeichnet hat, wie ein Gottesdienst inszeniert. Deshalb wird traditionell am Ende des ersten Aktes in Bayreuth auch nicht geklatscht. Wie war das in der neuen Regie von Jay Scheib?

Leitschuh: Es wurde geklatscht und auch gebuht, was ja eine besondere Form des Applauses ist. Wagner selbst hat sich übrigens über diese Tradition aufgeregt, und zum Teil selbst geklatscht nach dem ersten Akt. So ganz heilig ist diese Tradition also nicht. Der Regisseur Jay Scheib hat das Ganze klug gemacht, wie ich finde. Er hat sich von einer Quelle Wagners inspirieren lassen. Von dem Dichter Wolfram von Eschenbach. Bei ihm ist der Gral ein Stein, so eine Art Tischlein deck dich. Da kommt einmal im Jahr, an Karfreitag, eine Taube und bringt eine Hostie aus dem Himmel und dann ist da dieser Stein, der die Gralsritterschaft nährt. In diese Gralsritterschaft stolpert Parzival rein und wundert sich, was in dieser komischen Zauberwelt los ist. Am Ende wird dieser Gral von ihm zerstört. Diese Steinplatte wird zerstört und die Symbolik, die dahinter steht, ist: Leute, nutzt eure eigenen Kräfte. Ihr braucht euch nicht an dieser Steinplatte aufzuhalten, über die ihr Wasser gießt und das dann trinkt, wodurch ihr dann ewiges Leben bekommen wollt.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch Teile des umstrittenen Rings und den umjubelten Tannhäuser gesehen. Was bleibt in Erinnerung?

Leitschuh: Vom Tannhäuser ganz starke Bilder. Der Tannhäuser wird von der Wartburg im Thüringer Wald nach Bayreuth verlegt. Und das wurde ganz klug inszeniert. Da wurde mit Kameras gezeigt, was hinter den Kulissen passiert. Starke Bilder und tatsächlich auch sehr lustig. Den Ring ("Ring des Nibelungen", d. Red.) fand ich hochinteressant. Ein Beispiel: Die Inszenierung spielt in der Gegenwart und wird als Netflix-Ring bezeichnet. Gemacht wie eine hochwertige Fernsehserie. Die Szene, in der Siegfried den Drachen tötet, bleibt mir in Erinnerung. Der Drache ist ein alter, bettlägeriger Mann in einem Krankenbett. Er muss gepflegt werden, ist aber sehr tyrannisch, also ein richtiger alter Drache, wie man so sagt. Und der muss dann von Siegfried um die Ecke gebracht werden, damit er die Leute nicht mehr so nerven kann. Ein ganz schöner Einfall, aber die Inszenierung ist hochumstritten. Von diesen Arten der Übertragungen gibt es ganz viele. Die können einem Spaß machen. Gesanglich war alles top.

(domradio - sst)

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21. August 2023, 11:03