Stichwort: Historischer Briefwechsel von 1965
Im Dezember 1970 besuchte der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt Warschau, die Hauptstadt der Volksrepublik Polen. Der Bundeskanzler war nach Warschau gereist, um einen Vertrag zu unterzeichnen, der das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen neu regeln sollte. Während dieser politischen Reise stand auch der Besuch des Ehrenmals für die Helden des Warschauer Ghettos auf der Agenda. Mit einer Kranzniederlegung und dem historischen Kniefall veränderte Willy Brandt durch eine Geste die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.
Dieses Ereignis war jedoch nicht das erste, das zur Wiederannäherung beider Länder führte. Natürlich stellt der Kniefall ein außerordentlich symbolträchtiges Ereignis dar, dennoch kam es bereits fünf Jahre zuvor, im Jahr 1965, zu einer Annäherung zwischen Polen und Deutschland durch die beiden Ortskirchen. In den 1950er-Jahren kamen sich die Christen beider Länder durch gemeinsame Gottesdienste wieder näher, bis sich im November 1965 die polnischen Bischöfe zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und zum Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils mit einem Brief an ihre deutschen Amtsbrüder wandten – mit den Worten: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Ein neuer Weg der Versöhnung sollte beginnen.
Der Brief verbindet politische und theologische Themen miteinander und wurde anlässlich der Feierlichkeiten zum tausendjährigen Jubiläum der Christianisierung Polens als Einladung an die deutschen Bischöfe verschickt. Das Schreiben zeichnet verschiedene Nuancen: Zum einen wird die über Jahrhunderte fruchtbare Nachbarschaft mit den Deutschen betont, doch auch die Schattenseiten bleiben nicht unerwähnt. So werden die traumatischen Erfahrungen während der deutschen Besatzung genannt und als Erklärung für das anhaltende Misstrauen und die bestehenden Vorurteile identifiziert. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Deutschen nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer dargestellt werden.
Aus politischer Sicht ist der Brief der polnischen Bischöfe sehr interessant, weil er zur Zeit des Kalten Krieges erstmals die Probleme der Kriegsfolgen benennt und damit der kommunistischen Geschichtsschreibung widerspricht. So heißt es in dem Schreiben, dass das „Vaterland (Polen), das aus dem Massenmorden nicht als Siegerstaat, sondern bis zum Äußersten geschwächt hervorging“, sich immer noch mit seinem Selbstverständnis auseinandersetzen musste. Eine zentrale Rolle spielte dabei die polnische Westgrenze, die Entlang der Oder und der Neiße verlief und sich nach dem Zweiten Weltkrieg verändert hatte – ein bislang nicht ausdiskutierter Konflikt mit der deutschen Regierung, der nun durch die polnischen Bischöfe angesprochen wurde.
Die Antwort der deutschen Bischöfe auf das Schreiben ihrer polnischen Amtskollegen fiel kürzer aus. Sie gingen auf die Thematik der polnischen Westgrenze nicht ein, bekannten jedoch: „Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volke angetan worden.“ Indem die deutschen Bischöfe in ihrem Brief die Aussagen ihrer polnischen Kollegen aufgreifen und die heilige Hedwig als „brückenbauende“ Heilige hervorhebten, antworteten sie auf die Bitte um Vergebung mit denselben Worten. Kardinal Bolesław Kominek, der Initiator des Versöhnungsbriefs, notierte in seinen Erinnerungen, dass die deutschen Bischöfe die ausgestreckte Hand zum Frieden zwischen den beiden Völkern nur zögerlich ergriffen hätten. Dennoch bereitete dieses historische Ereignis den Weg für eine Annäherung beider Staaten – und letztlich auch für den Kniefall Willy Brandts.
Das Verhältnis zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen blieb aufgrund der ungeklärten Grenzfrage vorbelastet. Erst die Ratifizierung des Warschauer Vertrags im Jahr 1970 konnte eine vertiefte Annäherung ermöglichen. Selbst der Vatikan lehnte endgültige Regelungen zur Errichtung endgültiger Kirchenstrukturen in dem Grenzgebiet zu dieser Zeit ab.
Über verschiedene christliche Bewegungen und Initiativen – wie die Pax-Christi-Bewegung, verschiedene Akademien oder das Maximilian-Kolbe-Werk – fand die Annäherung beider Ortskirchen ihren Ausdruck. Im Jahr 1989 kam es zur Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung zum fünfzigsten Jahrestag des Kriegsausbruchs, durch die nun auch die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze festgestellt wurde.
Der Briefwechsel von 1965 gilt als Wendepunkt in den deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen, da er den entscheidenden Moment im Versöhnungsprozess beider Ortskirchen darstellt. In diesem Jahr feiern die polnische und die deutsche Kirche das 60. Jubiläum dieses Briefwechsels in Breslau, der Bischofsstadt des ehemaligen Kardinals Bolesław Kominek.
(dbk - bl)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.