Italien: Fehler-Analyse in Bozen vorgestellt
Der von der Diözese Bozen-Brixen mit der Untersuchung des Vorgangs beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Wastl von der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) sprach dabei von einem „systemischen Totalversagen“ in entscheidenden Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen. Bischof Ivo Muser kündigte bei der eigens organisierten Fachtagung „Mut zur Umsetzung“ Konsequenzen an. Unter anderem soll eine organisatorische Neuordnung des Bereichs Aufarbeitung und Prävention in der Diözese stattfinden und Betroffene besser eingebunden werden. Auch eine unabhängige Interventionsstelle wird eingerichtet.
Muser hatte im September einen Priester, der im Anfang 2025 vorgestellten Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Diözese Bozen-Brixen seit Mitte der 1960er Jahre belastet wurde, auf eine andere Seelsorgestelle versetzt. Eine Fachgruppe hatte den geplanten Einsatz des Priesters laut Diözese vorab geprüft und die Entscheidung, den Geistlichen weiterhin in der Seelsorge zu belassen, unter Auflagen für vertretbar gehalten. Nach heftiger Kritik nahm Muser die Entscheidung zurück und sprach von einer „Fehlentscheidung“. Der Geistliche war 2009 wegen Verjährung strafrechtlich freigesprochen worden. Zivilrechtlich erhielt die betroffene Familie später eine Entschädigung in sechsstelliger Höhe.
„Entscheidungen wurden ohne klare Zuständigkeiten, ohne ausreichende Dokumentation und ohne die Perspektive der Betroffenen getroffen“, sagte der im Anschluss mit einer Fehleranalyse beauftragte Rechtsanwalt Wastl am Freitag. Es habe „keine einzelne Person versagt, sondern das System als Ganzes“, so der Jurist. Hauptziel der Untersuchung sei nicht die Suche nach Schuldigen, sondern das Lernen aus Fehlern. „Systemisches Versagen kann zur Chance werden, wenn Verantwortung und Transparenz neu geordnet werden“, sagte Wastl.
Künftig unabhängige Interventionsstelle
Bischof Muser bekannte erneut, dass die Diözese in dem Fall strukturelle Fehler gemacht habe. „Es war keine böse Absicht, aber es war ein Versagen. Wir wollen daraus lernen und wir übernehmen Verantwortung“, sagte er. Neben der Neuordnung des Aufarbeitungs-Bereichs unter klar definierten Zuständigkeiten und einer lückenlosen Dokumentation aller relevanten Entscheidungen und Abläufe kündigte er an, dass so schnell wie möglich eine unabhängige Interventionsstelle als Kontroll- und Vertrauensinstanz eingerichtet werde.
Man wolle Betroffenen gerecht werden und alles tun, um künftige Betroffene zu schützen, fügte Muser hinzu. „Es geht auch darum, die Betroffenen viel mehr einzubeziehen und abzuwägen, wie wirken unsere Entscheidungen auf Betroffene, auf Menschen, die schweres Leid ertragen mussten“, sagte der Bischof im Interview mit RAI Südtirol am Rande der Tagung.
Peter Beer vom Safeguarding-Institut der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom sprach bei der Tagung über den Umgang mit Spannungen im Prozess der Aufarbeitung. „Der Bischof hat nach der Vorstellung des ersten Berichts über die Missbrauchsfälle in der Diözese eine neue Fehlerkultur angekündigt, und er löst heute dieses Versprechen ein. Die heutige Tagung mit dem Bericht über mannigfaches Versagen ist der Ernstfall dieser Fehlerkultur“, sagte Beer. Zum Thema Verantwortung, Leitung und Kirchenmitglieder sagte er: „Wie wächst Vertrauen? Nicht dadurch, dass man vorgibt, perfekt zu sein, sondern indem man anerkennt, es nicht zu sein, darüber spricht und gemeinsam Verbesserungen, Veränderungen und Weiterentwicklungen angeht. Genau das passiert hier.“
Vorreiter unter Italiens Diözesen
Als erste Diözese Italiens hatte die Diözese Bozen-Brixen zu Jahresbeginn eine den Zeitraum von 1964 bis 2023 umfassende unabhängige Untersuchung zu Missbrauchsfällen in ihrem Bereich vorgelegt, die auch Empfehlungen zur Stärkung der Belange der Betroffenen, zum Umgang mit Beschuldigten und Tätern und präventiven Maßnahmen enthält. Das mehr als 600 Seiten umfassende WSW-Gutachten ist Teil des mehrjährigen Projekts „Mut zum Hinsehen“, bei dem Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich und ihr Umgang damit aufgearbeitet sowie die Prävention von Missbrauch in der Südtiroler Diözese weiter verbessert werden soll. Eine Ombudsstelle der Diözese für Missbrauchsfälle gibt es in der Südtiroler Diözese seit dem Jahr 2010.
(kap – sk)
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