Unser Sonntag: Die Parusierede
Frater Fabian Lechner, OT
33. Sonntag im Jahreskreis: Lk 21,5-19
Viele Menschen kennen diese Erfahrung: Es gibt im Leben negative Ereignisse, die sich im Moment ihres Erlebens schwer und belastend anfühlen. In der Rückschau betrachtet, erhalten sie jedoch eine neue, positive Bedeutung.
Mit einiger Zeit Abstand betrachten wir die Dinge häufig in einem anderen Licht. Wir erkennen neue Details und Entwicklungen, die diese Ereignisse ausgelöst oder beeinflusst haben. In der Bewertung oder Interpretation kommen wir dadurch zu einem neuen Ergebnis.
Scheitern gehört zum Leben
Scheitern gehört zum Leben – das ist nicht eine hohle Phrase, sondern beschreibt eine existentielle Eigenschaft unserer menschlichen Natur.
Von Noah bis zur Offenbarung des Johannes: Apokalyptische Bilder und Endzeitreden sind fester Bestandteil biblischer Rhetorik. Ihre Botschaft irritiert und steht häufig im Widerspruch zu unserer intuitiven Überzeugung: Wenn Gott den Menschen Heil und Rettung versprochen hat, warum wird uns so viel Leid vorausgesagt? Warum braucht es Zerstörung und Vernichtung? Ein Sinn hinter apokalyptischen Bildern erschließt sich vielen Menschen nicht. Ich bin überzeugt: Auch hier empfiehlt es sich, den Blick vom Ende her zu wagen.
Die Parusierede bei Lukas
Das heutige Evangelium ist Teil der sogenannten Parusierede bei Lukas. Jesus erzählt seinen Jüngern vom Ende der Zeiten und der Wiederkunft. Auf den ersten Blick erschrecken die eindringlichen Worte Jesu von Irrlehren, von Leid und von Verfolgung, denen die Jünger begegnen werden. Es fällt schwer, den prophezeiten Ereignissen, die Jesus selbst als schreckliche Dinge bezeichnet, etwas Gutes abzugewinnen. Genannt werden einerseits große Naturkatastrophen, wie Seuchen, Erdbeben und Hungersnöte. Andererseits spricht Jesus aber auch von der persönlichen Verfolgung und Vernichtung, die der Einzelne in der Nachfolge erleiden wird.
In den Worten Jesu: Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten. Mit diesen eindringlichen Worten bereitet er sie auf seine Vollendung in Jerusalem und auf das, was sich im Anschluss ereignen soll, vor.
Jesu Botschaft an die Jünger lautet: Trotz der schrecklichen Ereignisse, die bevorstehen, wird der gemeinsame Weg nicht in Jerusalem enden.
Jesus wird unter seinen Jüngern gegenwärtig bleiben, mit ihm und in seinem Auftrag werden sie die frohe Botschaft weiter zu allen Menschen tragen.
Jesu Worte verstehen sich als Botschaft der Hoffnung und Stärkung.
Standhaft bleiben!
Ich bin überzeugt, dass dieser Text sich wie so viele Stellen des Evangeliums nur von diesem Ende her verstehen lässt. Die heutige Perikope schließt mit einem Versprechen: Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen. Jenen, die Jesus nachfolgen, wird als Lohn das ewige Leben zuteil. Der Text handelt damit nicht vom Verlust, sondern vom Gewinn. Der Weg dorthin wird mit Mühsal, Leid und Not verbunden sein. Trotz aller Drangsal bleibt Gott immer an unserer Seite. So verbindet Jesu seine Warnungen mit einer Zusage an seine Jünger:
Nehmt euch also zu Herzen, nicht schon im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. Das bedeutet: Im Ernstfall kann der Mensch in der Nachfolge auf Gott und seinen Geist vertrauen, er lässt uns nicht allein. Alle Not, die anschaulich von Jesus beschrieben wird, ist immer fest verbunden mit dieser Zusage: Und trotzdem bleibe ich bei Dir, du kannst mir vertrauen. Am Ende wird mit Gott das Gute triumphieren – trotz aller Katastrophen, trotz des Untergangs der Welt.
Lasst euch nicht erschrecken!
Wenn Christen darauf vertrauen, brauchen sie keine Angst zu haben. Deshalb bestärkt Jesus seine Jünger mit den Worten: Wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch nicht erschrecken!
Die Bedeutung des heutigen Sonntagsevangeliums wird noch einmal verständlicher, wenn wir den historischen Kontext betrachten, in dem der Evangelist Lukas diesen Text niederschreibt. Am Anfang der Perikope spricht Jesus vom Untergang des Tempels in Jerusalem.
Dieser Tempel ist für die Juden mehr als ein Gebäude. Er ist ein zentrales Symbol ihres Glaubens, der spirituelle wie soziale Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Gesellschaft.
Was sollen wir tun, wenn alles verloren scheint?
Wenn nun die Rede ist von der Zerstörung der schön bearbeiteten Steine und Weihegeschenke, dann ist das nicht das Bedauern vom unwiederbringlichen Verlust kunsthistorischer Schätze. Vielmehr ist es für die Zuhörer ein apokalyptisches Zeichen, ein ultimatives Fiasko. Diese Katastrophe tritt im Jahr 70 nach Christus wirklich ein. Die Römer zerstören den Tempel. Das jüdische Volk steht damit in der Wahrnehmung vieler Juden vor dem Ende. Lukas verfasst diese Zeilen erst nach diesem Ereignis, also vor dem Hintergrund, dass die Katastrophe für seine Leser bereits Realität geworden ist. Es geht dem Evangelisten daher weniger um die Vorhersage einer Katastrophe, sondern vielmehr um den korrekten Umgang mit ihr. Was sollen wir tun, wenn alles verloren scheint?
Krise als Normalzustand
Apokalyptische Zeichen begegnen uns auch in unserer Zeit etwa in der Gestalt von Krieg und Umweltkatastrophen. Aufgrund der Fülle an negativen Nachrichten, mit denen wir täglich konfrontiert werden, haben sich viele Menschen an diese Meldungen gewöhnt. Für sie ist die Krise der Normalzustand. Mehr noch als die großen Weltereignisse werden es bei ihnen daher die persönlichen Katastrophen sein, die zu Ausweglosigkeit und Verzweiflung führen.
Vor einem scheinbar unüberwindbaren Problem stehend denken wir: Es geht nicht weiter, ich sehe keinen Ausweg mehr. Auch für die persönlichen Krisen gelten die Versprechen, die Jesus seinen Jüngern im heutigen Evangelium gibt. Christen brauchen keine Angst zu haben.
Gott hat versprochen ihnen beizustehen und ihnen über den Tod hinaus das ewige Leben zu schenken. Diese Botschaft spendet nicht nur Trost für den Augenblick. Durch sie wachsen Hoffnung und Zuversicht, die wir brauchen, um uns in den Krisen dieser Zeit zu bewähren und wenn möglich zu ihrer Bewältigung beizutragen.
Unterscheidung: Was ist wirklich wichtig?
Was sind die richtigen und wichtigen Dinge im Leben, denen es sich nachzugehen lohnt? Jesus lehrt uns auch, sie von falschen abzugrenzen. Eindringlich warnt er uns vor den falschen Propheten und ihren Versuchungen: Lauft ihnen nicht nach! Heils- und Erlösungsversprechen begegnen uns täglich an vielen Orten in unserer Gesellschaft. Neben religiösen Angeboten begegnen sie uns heute beispielsweise in Form von politischen Ideologien oder in der Gestalt eines materialistischen Denkens, das seine Erfüllung allein im Konsum sucht. Vielleicht können wir ihnen am besten begegnen, indem wir sie von ihrem Ende her denken und versuchen im größeren Zusammenhang von Gottes Geschichte mit dem Menschen zu betrachten.
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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