Buchtipp: Iles Johnston ordnet das Chaos der griechischen Mythen
Im Verlag C.H.Beck ist eine Zusammenführung erschienen, die nicht nur erzählt, sondern auch versteht.
Johnston, Expertin für die antike griechische Religion, verfolgt in ihrem Buch einen Ansatz, der über die bloße Nacherzählung hinausgeht. Sie behandelt die Mythen nicht als isolierte Anekdoten, sondern als ein zusammenhängendes, sich ständig weiterentwickelndes Epos, das die Weltordnung von den Anfängen bis zu den großen Tragödien der menschlichen Heldenzeit kartiert.
Vom Ur-Verlangen bis zum Trojanischen Krieg
Der Leser wird auf eine umfassende Reise mitgenommen, die bereits mit den Urkräften wie dem „Verlangen“ (Eros) und der Geburt des Kosmos beginnt – lange bevor Zeus den Olymp bestieg. Die Darstellung ist chronologisch und thematisch stringent aufgebaut, was gerade jenen Lesern zugutekommt, die in der schieren Masse von Namen wie Typhon, Triton oder Tyndareos leicht den Überblick verlieren. Die Autorin schafft es, die theogonischen Auseinandersetzungen der Götter (etwa die Konflikte um Typhon) ebenso lebendig darzustellen wie die komplexen Heroensagen, etwa die Fahrten der Argonauten oder die Taten des Herakles, der sich mit Ungeheuern wie den „Stymphalischen Vögeln“ herumschlagen musste.
Johnston gelingt es, die tiefere Bedeutung hinter den Erzählungen freizulegen. Sie beleuchtet, wie die Mythen auf die existenziellen Fragen der Antike – über Tod, Schicksal und die Rechtfertigung der Götterherrschaft – reagierten. Die Verflechtungen der Familiengeschichten – etwa die Bande um Oineus, Tydeus und Diomedes – werden sorgfältig nachgezeichnet, sodass das verzweigte Beziehungsgeflecht der Heroen nachvollziehbar wird.
Akademische Tiefe trifft Erzählkunst
Das Besondere an Johnstons Ansatz ist die Balance: Das Buch ist tief in der antiken Quellenforschung verankert, ohne jemals akademisch trocken zu werden. Ihre Sprache ist flüssig, klar und fesselnd. Sie erzählt „neu“, indem sie die Mythen aus der Perspektive ihrer kulturellen Funktion interpretiert.
„Von Göttern und Menschen“ ist mehr als eine Mythensammlung; es ist eine Einführung in die Gedankenwelt der antiken Griechen. Es zeigt, wie die Götter die Welt beherrschten, warum die Helden leiden mussten und inwiefern der Mensch stets Spielball kosmischer und göttlicher Kräfte blieb.
Fazit
Sarah Iles Johnstons Neuinterpretation ist ein Meisterwerk der Vermittlung. Für jeden, der die griechische Mythologie nicht nur konsumieren, sondern durchdringen möchte, ist dieses Buch eine absolute Bereicherung. Es eignet sich hervorragend für Kenner, die neue Perspektiven suchen, ebenso wie für Einsteiger, die eine verlässliche und umfassend erzählte Quelle benötigen, um die Struktur und Logik dieser faszinierenden Erzählwelt zu verstehen. Ein Muss für das Sachbuchregal.
Zum Mitschreiben
Sarah Iles Johnston: Von Göttern und Menschen. Die griechischen Mythen neu erzählt, erschienen im C. H. Beck Verlag 2025. ISBN 978 3 406 82709 9
Eine Rezension von Mario Galgano.
(vatican news)
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