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Der emeritierte Papst bei einer Begegnung mit Papst Franziskus Der emeritierte Papst bei einer Begegnung mit Papst Franziskus 

Dossier: Benedikt XVI. und der Zölibat

Wie steht Joseph Ratzinger, wie steht der emeritierte Papst Benedikt XVI. zum Pflichtzölibat für Priester in der römisch-katholischen Kirche? Ein Buch von Kurienkardinal Robert Sarah hat eine Debatte über diese Frage aufgeworfen. Wir haben Äußerungen Ratzinger-Benedikts zum Zölibat im Lauf der Jahrzehnte zusammengetragen.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Die priesterliche Lebensform liegt dem emeritierten Papst sehr am Herzen. Während seines Pontifikats (2005-13) führte er 2009/2010 ein internationales Jahr der Priester durch; Ausgangspunkt war der 150. Todestag des heiligen Pfarrers von Ars, Jean-Baptiste Vianney.

Zugleich war Benedikt der Papst, der verheirateten anglikanischen Priestern den Übertritt in die römisch-katholische Kirche möglich machte. Das entsprechende Dokument „Anglicanorum coetibus“ sieht sogar die Möglichkeit vor, „von Fall zu Fall verheiratete Männer gemäß den vom Heiligen Stuhl approbierten objektiven Kriterien zur Priesterweihe zuzulassen“. Klar gesagt: Dank Benedikt XVI. gibt es längst verheiratete Priester in der Kirche des Westens.

Ganz dem Herrn gehören - und dadurch ganz den anderen

Die Wertschätzung, die Benedikt dem Zölibat entgegenbringt, kann man in seinem Denken mit dem Begriff „Totalität“, also Ganzheit, in Verbindung bringen. Gegenüber Priestern und Seminaristen hat er das einmal so ausgeführt: „Es gibt im Alten Testament den ‚Ruf‘ zur Heiligung, der etwa dem entspricht, was wir mit Weihe, auch mit Priesterweihe sagen: Etwas wird Gott übergeben und aus der Sphäre des Allgemeinen herausgenommen, Ihm gegeben. Aber das heißt dann, dass es nun für alle da ist. Weil es herausgenommen ist und Gott gegeben, gerade darum ist es nun nicht isoliert, sondern es ist in das ‚für‘ für alle hineingehoben.“ (An Priester in Brixen, 6.8.2008)

Und das lässt sich nach Ratzinger-Benedikts Überzeugung auch vom Priestertum in der römisch-katholischen Kirche sagen. „Es bedeutet, dass wir einerseits dem Herrn übereignet, aus dem Allgemeinen herausgenommen werden, aber andererseits Ihm übereignet werden, damit wir so ganz Ihm und dadurch ganz den anderen gehören. Und ich denke, gerade den jungen Menschen, die ja Idealismus haben und etwas fürs Ganze tun wollen, sollten wir immer wieder zu zeigen versuchen, dass gerade diese ‚Enteignung aus dem Allgemeinen‘ heraus ‚Übereignung ans Ganze‘ ist und dass dies eine große, die größte Weise ist, einander zu dienen.“

„Kein Priester ist Priester allein“

Dienst am Ganzen: Das geht nur ganz. „Und dazu gehört eben dann auch dieses wirklich mit der Ganzheit des Seins für den Herrn zur Verfügung zu sein und so ganz für die Menschen zur Verfügung zu sein. Ich denke, der Zölibat ist ein fundamentaler Ausdruck dieser Totalität, schon dadurch ein großes Rufzeichen in dieser Welt, weil er nur Sinn hat, wenn wir wirklich an das ewige Leben glauben und daran, dass Gott uns beansprucht und wir für Ihn da sein können.“

Klingt idealistisch? Ist aber nach Überzeugung des emeritierten Papstes zutiefst sinnvoll und auch praktisch lebbar. Allerdings betonte auch er: Priester dürfen keine Einzelkämpfer sein, sie sollten sich als Gemeinschaft von Brüdern begreifen. „Dieses Miteinander der Priester ist heute wichtiger denn je. Eben um nicht in die Isolierung, in die Einsamkeit und ihre Traurigkeiten zu verfallen, ist es wichtig, dass wir einander regelmäßig treffen können… Kein Priester ist Priester allein…“ (ebd.).

Amt und Charisma

Gerne wies Benedikt XVI. während seines Pontifikats darauf hin, dass das Priestertum nicht einfach ein „Amt“ ist, sondern ein „Charisma“. „Es gibt also nicht diesen Gegensatz: auf der einen Seite das Amt als etwas Rechtliches und auf der anderen Seite die Charismen als prophetische, lebendige, geistliche Gabe, als Gegenwart des Geistes und seiner Neuheit.“ (Begegnung mit römischen Priestern, 23.2.2012) Das Priestertum sei charismatisch, eine „Gabe des Auferstandenen“ – und „nur so“ lasse sich verstehen, dass es in der Kirche des Westens mit dem Charisma der freiwilligen Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen verkettet sei. In ihrer Verbindung weisen die beiden Charismen nach Benedikts Überzeugung gemeinsam „auf die letzte Bestimmung unserer Hoffnung hin, auf Gott hin“. Ein eschatologisches Zeichen, das wichtig ist für die Welt von heute.

Der Zölibat ist ein Ja

Eigentlich sei es überraschend, dass der Zölibat heute dermaßen in der Kritik stehe, bemerkte Benedikt XVI. einmal bei einer anderen Gelegenheit. Schließlich werde es heute doch „immer mehr Mode, nicht zu heiraten“ (Gebetsvigil, 10.6.2010).
„Aber dieses Nicht-Heiraten ist etwas vollständig und grundlegend anderes als der Zölibat, denn das Nicht-Heiraten ist auf den Willen gegründet, nur für sich selbst zu leben, keine endgültige Bindung zu akzeptieren, das Leben zu jedem Zeitpunkt in vollkommener Autonomie zu leben, jeden Augenblick zu entscheiden, was zu tun ist, was man vom Leben nimmt; es ist daher ein Nein zur Bindung, ein Nein zur Endgültigkeit, es bedeutet, das Leben nur für sich allein zu haben. Der Zölibat dagegen ist genau das Gegenteil: er ist ein endgültiges Ja, ein sich von den Händen Gottes Ergreifenlassen, ein sich in die Hände Gottes, in sein Ich Hineinlegen, das heißt es ist ein Akt der Treue und des Vertrauens, ein Akt, der auch Voraussetzung ist für die Treue in der Ehe.“

Gerade die Kritik an ihm zeige doch, dass der Zölibat „ein großes Zeichen des Glaubens, der Gegenwart Gottes in der Welt“ sei, so Benedikt XVI. In einer Welt, in der Gott keine Rolle mehr spiele, erscheine er als Störfaktor, weil er zeige, „dass Gott als Wirklichkeit betrachtet und erlebt wird“. „Mit dem eschatologischen Leben des Zölibats tritt die zukünftige Welt Gottes in die Wirklichkeiten unserer Zeit. Und das soll beseitigt werden!“

Zölibat rührt an die Gottesfrage

Damit rührt die Zölibatsfrage direkt an das große Anliegen Ratzinger-Benedikts, nämlich die Frage nach Gott in den westlichen Gesellschaften lebendig zu halten. Natürlich gebe es „auch die zweitrangigen Skandale unserer Unzulänglichkeiten, unserer Sünden“. „Aber es gibt auch sehr viel Treue!“

In seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising hat Joseph Ratzinger einmal ausführlich auf die Einwände eines Priesters gegen den Pflichtzölibat geantwortet; die Stellungnahme ist in seine „Gesammelten Schriften“ eingegangen (JRGS Bd. 12, S. 154-158). In dem Text macht Ratzinger geltend, „dass auch heute nicht nur Borniertheit und Ängstlichkeit für den Zölibat stehen, sondern Gewichte, die nicht zufällig die Jahrhunderte überdauert haben“.

Aus einem „zeichenhaften Verzicht“ darf nicht „Eigenbrötelei“ werden

Er bezweifelt, dass der Zölibat „Lebenskraft“ behalten würde, wenn er Priestern freigestellt werde. „Der Kern der Sache aber liegt in Folgendem: Wenn der Zölibat der Weltpriester nicht eine gemeinschaftliche kirchliche Form ist, sondern eine private Entscheidung, dann verliert er seinen wesentlichen theologischen Gehalt und seine entscheidende persönliche Fundierung, denn dann hört er auf, ein von der Kirche getragenes Zeichen zu sein…“ Aus einem „zeichenhaften Verzicht“ werde dann „Eigenbrötelei“.

Seine Kraft gewinne der Zölibat nur dadurch, dass er wirklicher Verzicht sei – ausgesprochen von Männern, „die an sich zur Ehe fähig und willens wären“. „Wenn der Kreis der Zölibatäre ein Verein von Hagestolzen ist, ist er nichts wert.“ Dass in den letzten Jahrzehnten immer mehr „sexuelle Verwilderung“ um sich greife, bedeute nicht, dass der Zölibat sich heute nicht mehr leben lasse; die Ehe stehe schließlich vor derselben Herausforderung. Ähnlich argumentiert der heutige Papa emeritus, wenn es um „Zölibatsverfehlungen“ geht: Es liege doch auf der Hand, „dass die Ehe vor ähnlichen Gefahren keineswegs immunisiert“.

„Wie soll sich ein junger Mensch für das eschatologische Abenteuer des Zölibats entscheiden können, wenn die Kirche selbst nicht mehr zu wissen scheint, ob sie es noch wollen soll?“

Ratzinger warnt, „das Zutrauen zum Zölibat“ könne „in den jungen Menschen zerredet werden, und das beweist dann nicht, dass sie kein ‚Charisma‘ haben, sondern dass dem Charisma der Raum verbaut worden ist“. Dass es immer weniger Berufungen zum Dienst am Altar gebe, liege „daran, dass die Kirche müde geworden ist und ihm (Gott) keinen Einlass gewährt“.

„Wie soll sich ein junger Mensch für das eschatologische Abenteuer des Zölibats entscheiden können, wenn die Kirche selbst nicht mehr zu wissen scheint, ob sie es noch wollen soll?“

(radio vatikan)
 

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17. Januar 2020, 09:21