Zollner: Leo XIV. ist für Safeguarding sensibilisiert
Anne Preckel - Vatikanstadt
Leo XIV. bringe „sehr viele Qualitäten mit“, freut sich der deutsche Jesuit in einem aktuellen Interview mit Radio Vatikan über den neuen Papst. Dazu gehöre „sein Leben in verschiedenen Welten“, so Zollner mit Blick auf die vielfältigen Lebensorte und Wirkungsbereiche von Robert Francis Prevost. Pater Zollner ist Leiter des Safeguarding-Instituts IADC an der päpstlichen Universität Gregoriana.
Rechenschaftspflicht als Prinzip
In seiner Laufbahn ist Prevost auch an mehreren Stellen mit kirchlichen Missbrauchsfällen und deren Aufarbeitung in Kontakt gekommen. Das sei in seinem Heimatland USA schon lange ein „wichtiges und zentrales Thema“, erinnert Zollner, und zwar „nicht erst seit 15 Jahren wie in Zentral- und Mitteleuropa, sondern seit 40 Jahren“. Die öffentliche Auseinandersetzung um Fälle und Safeguarding-Standards sind dem jetzigen Papst damit schon länger ein Begriff. „Ich denke, dass er als geborener Amerikaner eine gewisse Sensibilität, eine Grundsensibilität, dafür mitbringt, was es heißt, Rechenschaftspflicht nicht nur zu buchstabieren, sondern auch einzuhalten und als Prinzip hochzuhalten“, so der deutsche Jesuit.
Besonderen Zugang zum Thema verschaffe Prevost auch seine Ausbildung als Kirchenrechtler: „Ich denke, dass es auch für ihn einsichtiger ist als in anderen kulturellen Kontexten, dass Compliance, also Regelkonformität, wichtig ist, damit auch die Glaubwürdigkeit des eigenen Systems, in diesem Fall also des Kirchenrechts, auch auf dem Spiel steht. Ich denke, dass er als Kirchenrechtler, als ausgebildeter, promovierter Kirchenrechtler, dazu auch einen sehr großen und tiefen Zugang hat. Und insofern bin ich schon sehr guter Hoffnung, dass das auch weiterentwickelt werden wird, was beim Kinderschutzgipfel 2019 unterstrichen worden war.“
Maßnahmen in der Krise
In seiner Zeit in Peru habe Robert Francis Prevost die Situation der Kirche dort „sehr nah mitverfolgt“, so Zollner weiter. Als Vizepräsident der peruanischen Bischofskonferenz habe er sich „in einer sehr spannungsgeladenen Situation“ um Bewusstseinsbildung und Ausbildung im Bereich Safeguarding bemüht: So sei er von Provost 2020 eingeladen worden, um einen Safeguarding-Workshop für die peruanische Bischofskonferenz durchzuführen, berichtet der IADC-Direktor. In dieser Zeit habe es in dem lateinamerikanischen Land schwere Anschuldigungen gegen die inzwischen aufgelöste katholische Gemeinschaft „Sodalitium Christianae Vitae“ (SCV) gegeben. Eine kirchenrechtliche Untersuchung wies ihr 2023 schweren Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und Veruntreuung nach.
Missbrauchsbetroffene in Peru haben Prevost Entschiedenheit bei der Aufarbeitung von Missbrauch im Zusammenhang mit „Sodalitium“ zugesprochen und ihn gegen gegenteilige Vorwürfe in Schutz genommen. Zollner hat sich dazu ein Bild gemacht: „Nach meinem Stand, nach allen Dokumenten, die ich gesehen habe, unter anderem auch eine Stellungnahme der Augustiner-Provinz in den USA, aber auch die anderen Opferstimmen aus Peru, Opfer der ,Sodalitium‘-Gemeinschaft, ist es so, dass diese Anschuldigungen offenbar haltlos sind.“ Stellungnahmen der letzten Tage hätten belegt, dass Prevost als Bischof in Peru „sehr auf eine Aufarbeitung hingearbeitet, sich für Opfer eingesetzt und diesen zugehört hat“.
Sorgfalt bei der Bischofs-Vorauswahl
„Wir müssen transparent und ehrlich sein, die Opfer begleiten und ihnen helfen, denn sonst werden ihre Wunden nie heilen“, betonte Robert Francis Prevost in einem Interview mit Vatican News im Mai 2023. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade von Papst Franziskus als Präfekt des Bischofsdikasteriums eingesetzt worden. Mit Blick auf sexualisierten Missbrauch in der katholischen Kirche hob er zugleich die Notwendigkeit einer guten Begleitung der Bischöfe hervor, die Schlüsselfiguren bei der Missbrauchsprävention sein sollen, wie Papst Franziskus betont hat.
Im Bischofsdikasterium hat Prevost Franziskus‘ Linie umgesetzt. Die französische Ordensfrau Yvonne Reungoat, die in dieser wichtigen „Personalbehörde“ des Vatikans bis zuletzt noch mit Prevost zusammengearbeitet hat, berichtete über ein gutes Unterscheidungsvermögen des Präfekten im Zusammenhang mit der Vorauswahl von Bischöfen. Prevost habe gelassen und sicher, feinfühlig und verantwortungsbewusst „das geklärt, was geklärt werden musste in Bezug auf Risiken, die sich aus bestimmten Fragen ergeben konnten, die mit Missbrauch oder Moral zusammenhingen“, formulierte die Ordensfrau.
Wie sich angehende Bischöfe im Bereich Safeguarding verhalten und mit Fällen und Anschuldigungen umgehen, werde im Bischofsdikasterium schon länger berücksichtigt, so Zollner gegenüber Radio Vatikan. „Das war über die Jahre immer ein wichtiges Thema, vor der Amtsübernahme durch Prevost als Chef dieses Dikasteriums, als auch danach“, so der Safeguarding-Experte. Das IADC-Institut habe über die Jahre immer wieder Safeguarding-Schulungen für neue Bischöfe durchgeführt, die nach Rom gekommen waren, berichtet er weiter.
Kirche wirklich nachhaltig sicher?
„Das wirklich Wichtige ist, dass die Kandidaten verstehen, und zwar nicht nur intellektuell, sondern auch von ihrer Einstellung, vom Herzen her, dass alles, was mit Anschuldigungen gegen Missbrauch zu tun hat, aber vor allem auch mit dem Schaffen von sicheren Räumen und sicheren Beziehungen, etwas zu tun hat mit der Mission der Kirche“, betont Zollner, „dass es nicht etwas Aufgesetztes ist oder Zusätzliches, sondern dass es in allen liturgischen, spirituellen, pastoralen, karitativen, edukativen Zusammenhängen eine Rolle spielt.“ Dieses Bewusstsein sei es, das die Kirche nachhaltig sicher machen und zu einem Mentalitätswandel führen könne, ist er überzeugt.
Bischöfe spielten eine wichtige Rolle, um dieses Bewusstsein zu fördern, betont Zollner. Beim Safeguarding gehe es „um eine Haltung aller Christen“, angefangen bei kirchlichen Verantwortungsträgern bis hin zu einfachen Gemeindemitgliedern, erinnert er. Bischöfe mit pastoraler Erfahrung, auf die Papst Franziskus Wert legte, seien von Vorteil, „weil diese Menschen sehr oft natürlich viel näher dran sind an dem tatsächlich gelebten Leben von Christen, aber auch von Betroffenen und da eine Möglichkeit haben, dieses Zuhören auch so zu gestalten, dass alle wissen, dass sie sagen können und sagen dürfen und sollen, was ihnen geschehen ist und dass sie dann auch eine entsprechende Antwort erhalten“.
Lernen von der Synodalität
Menschen, die mit Prevost gearbeitet haben, betonen seine Nähe zu Menschen und seine Offenheit für kirchliche Zusammenarbeit und Mitverantwortung. Als neuer Papst hat sich Robert Francis Prevost in seiner ersten Ansprache explizit zu einer synodalen und missionarischen Kirche bekannt. Wie wichtig ist dieser Aspekt beim Aufbau einer Kultur des Schutzes?
Als Augustiner bringe Prevost in gewisser Weise schon einen gemeinschaftlich-synodalen Background mit, so Zollner. Synodalität sei eine „wichtige Brücke hin zu einer sicheren Kirche und einer sicheren Welt“, führt er aus. Statt das Thema allein nur an Expertinnen und Experten zu delegieren, brauche es „eben auch ein Bewusstsein, dass alle Getauften mitverantwortlich sind“. Gegen den Missbrauch gebe es kein weltweites Schutzkonzept, keine „Blaupause, die auf die ganze Welt angewandt werden könnte“, erinnert Zollner weiter. Dafür seien die regional-kulturellen als auch gesetzlichen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern zu unterschiedlich.
„In jedem Fall ist Schweigen keine Antwort und keine Lösung“, sagte Prevost als Präfekt des Bischofs-Dikasteriums 2023 gegenüber Radio Vatikan mit Blick auf und im Bewusstsein um eben jene kulturellen Unterschiede. In einigen Ländern sei Missbrauch ein Tabu, in anderen sei man schon weiter, merkte er an. Viel gebe es „noch zu lernen“, vor allem, die Überlebenden stärker zu begleiten, aber auch die Bischöfe. Es sei „dringend notwendig, dass wir verantwortungsvoller und sensibler mit diesem Thema umgehen“, so der US-Amerikaner, der heute Papst ist.
Garant für Mitverantwortung und Fortschritt
Der Papst könne, zumal in einer synodalen Kirche, „Garant“ dafür sein, dass Safeguarding „nachhaltig präsent“ bleibe, so Zollner abschließend: „Was es braucht, ist ein Bekenntnis dazu, dass in den jeweiligen lokalen und kulturellen Zusammenhängen die Leute das tun, was sie tun sollen und was sie tun müssen, auch aus einer christlichen Verantwortung heraus, um alle Menschen sicherzuhalten. Das ist meines Erachtens die Aufgabe des Papstes.“
Der Pontifex könne insofern dafür sorgen, dass sich das Bewusstsein und die Strukturen verbessern, „die dann von den Leuten, die die Verantwortung übernehmen sollen und müssen, auch tatsächlich ausgefüllt werden“, so der Direktor des IADC. Wie Leo XIV. diese Mission ausfüllen wird, wird sich zeigen.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.