Papst-Interview: Hass und Gewalt überwinden
Salvatore Cernuzio - Vatikanstadt
In den nun von zwei Internetportalen vorab veröffentlichten Auszügen geht es um die Rolle des Papstes und seine zahlreichen Verpflichtungen, auch die öffentliche Dimension selbst eines Telefonats. Weiteres Thema: Der Friede, den er seit seinem ersten Auftritt auf der Segensloggia fordert, und der „die einzige Antwort“ in dieser von Konflikten und „unnötigen Tötungen“ gezeichneten Welt sei. Dazu der Appell zum Dialog, die Synodalität als „Gegenmittel“ für Polarisierungen und schließlich ein Hinweis auf seine US-amerikanisch/peruanische „Identität“ und auf sein Fan-Dasein während der Fußball-Weltmeisterschaft.
Das erste längere Interview mit dem Papst wurde teilweise in Castel Gandolfo und teilweise in seiner Residenz im Palazzo del Sant’Uffizio aufgezeichnet und wird den biographischen Band León XIV: ciudadano del mundo, misionero del siglo XXI, der am 18. September auf Spanisch bei Penguin Perú erscheinen wird, begleiten. Ausgaben der Biographie auf Englisch und Portugiesisch sollen Anfang 2026 erscheinen.
Zwischen USA und Peru
Diesen Sonntag, am 14. September, dem 70. Geburtstag des Papstes, wurden einige Passagen veröffentlicht, die auf Details aus dem Leben von Robert Francis Prevost eingehen. Etwa seine doppelte Zugehörigkeit zu den USA, dem Land seiner Geburt, und zu Peru, dem Land seiner Mission. „Natürlich bin ich Amerikaner und fühle mich sehr amerikanisch, aber ich liebe auch sehr Peru, das peruanische Volk, das ist also auch ein Teil von dem, was ich bin. Ich habe die Hälfte meines priesterlichen Dienstes in Peru verbracht, die lateinamerikanische Perspektive ist für mich daher sehr wertvoll.“
Leo XIV., seit dem 8. Mai 2025 auf dem Stuhl Petri, versichert, er habe „noch einen langen Weg des Lernens vor sich“. Während der „pastorale“ Teil bislang der einfachere war, zeigt sich der Papst überrascht, „auf die Ebene einer weltweiten Führungsperson katapultiert worden zu sein“. Alles ist öffentlich: „Die Menschen wissen von Telefonaten oder Treffen, die ich mit Staatsoberhäuptern verschiedener Regierungen und Länder der Welt hatte.“ Der Papst erklärt auch, er lerne viel über die diplomatische Rolle des Heiligen Stuhls: „Das alles ist neu für mich … Ich empfinde das als große Anregung, aber ich fühle mich nicht überfordert.“
Die Friedensbemühungen des Heiligen Stuhls
Was die Friedensarbeit betrifft, erinnert Papst Leo bei einer Antwort auf eine Frage zum Krieg in der Ukraine vor allem an die in diesen Monaten lancierten Appelle und daran, seine Stimme erhoben zu haben, um zu bekräftigen, dass „die einzige Antwort der Frieden ist“‘. „Nach diesen Jahren unnötiger Tötungen von Menschen auf beiden Seiten – in diesem speziellen Konflikt, aber auch in anderen – glaube ich, dass die Menschen in bestimmter Weise aufgeweckt werden müssen, um zu sagen: Es gibt einen anderen Weg, die Situation zu lösen“, unterstreicht er. Bezüglich des Vorschlags, der Vatikan könne als Vermittler in den Konflikten auftreten und sogar Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine beherbergen, unterstreicht Leo XIV., dass „der Heilige Stuhl seit Beginn des Krieges große Anstrengungen unternommen hat, eine wirklich neutrale Position zu bewahren“.
Die Kriegsparteien überzeugen: „Es reicht“
Für den Papst besteht die Dringlichkeit heute darin, dass „verschiedene Akteure genügend Druck ausüben müssen, damit die Kriegsparteien sagen: ‚Es reicht‘, suchen wir einen anderen Weg, unsere Differenzen zu lösen.“ „Hoffen wir weiter“, lautet seine Einladung. „Ich habe großes Vertrauen in die Menschheit.“ Ja, „es gibt böse Akteure und es gibt Versuchungen“, doch man müsse „die Menschen ermutigen, auf höhere Werte zu schauen“ und immer wieder zu betonten: „Machen wir es anders.“
Polarisierungen, Krisen, Ungleichheiten
Daher ruft der Papst zum Dialog auf. Er selbst setzt sich als Erster dafür ein – durch die Besuche, die er von Staats- und Regierungschefs sowie von Leitern multinationaler Organisationen empfängt. „Theoretisch“, merkt er im Interview an, „sollten die Vereinten Nationen der Ort sein, an dem viele dieser Fragen behandelt werden. Leider scheint allgemein anerkannt zu sein, dass die UNO zumindest derzeit ihre Fähigkeit verloren hat, Menschen in multilateralen Fragen zusammenzubringen.“
Nach Ansicht des Papstes gilt es, „uns selbst an das Potenzial der Menschheit zu erinnern, Gewalt und Hass zu überwinden, die uns nur immer weiter spalten“.
Auseinanderdriften von Arm und Reich, Werteverlust
Wir leben in Zeiten der Polarisierung, bekräftigt Leo XIV., vor allem nach der Krise von 2020, und auch in Zeiten eines Werteverlustes: „Der Wert des menschlichen Lebens, der Familie, der Gesellschaft. Wenn wir den Sinn dieser Werte verlieren, was bleibt dann noch Wichtiges?“, fragt er.
Papst Leo zeigt mit dem Finger auf „die wachsende Kluft zwischen den Einkommen der Arbeiterklasse und den Summen, die die Reichsten erhalten“: „Vor sechzig Jahren verdiente ein CEO vielleicht vier- bis sechsmal so viel wie ein Arbeiter. Laut der jüngsten Daten, die ich gesehen habe, erhält er heute 6.600-mal mehr als ein durchschnittlicher Arbeiter.“ In diesem Zusammenhang erwähnt der Papst auch eine Nachricht gelesen zu haben, nach der Elon Musk, US-amerikanischer Unternehmer und der Gründer von Tesla sowie SpaceX, „der erste Billionär der Welt“ werden könnte: „Was bedeutet das, und wovon reden wir hier? Wenn das die einzige Sache ist, die noch Wert hat, dann sind wir in großen Schwierigkeiten …“
Synodalität um gemeinsam weiterzugehen
Großen Raum widmet Papst Leo XIV. dem Konzept der Synodalität, das bedeutet, „dass jedes Mitglied der Kirche eine Stimme und eine Rolle hat, die es ausüben muss – durch Gebet, Reflexion … durch einen Prozess“. „Manche haben sich dadurch bedroht gefühlt“, stellt der Papst heraus. „Mitunter könnten Bischöfe oder Priester den Eindruck haben: ‚Die Synodalität nimmt mir meine Autorität weg‘“ aber „das ist nicht Synodalität“.
Sie sei eher „eine Art, zu beschreiben, wie wir uns versammeln können und eine Gemeinschaft sein und Gemeinschaft als Kirche suchen können – in der Weise, dass es eine Kirche ist, die sich nicht auf die institutionellen Hierarchie konzentriert, sondern vielmehr auf einen Sinn von ‚wir gemeinsam‘“. Nach Ansicht des Papstes kann diese Haltung „der Welt von heute viel lehren“. „Es geht nicht darum“, unterstreicht er, „die Kirche in eine Art demokratische Regierung zu verwandeln. Denn wenn wir uns viele Länder der heutigen Welt ansehen, ist Demokratie nicht unbedingt die perfekte Lösung für alles. Es geht vielmehr darum, das Leben der Kirche in ihrem Wesen zu respektieren und zu verstehen und zu sagen: ‚Das müssen wir gemeinsam tun.‘“
Fußball-WM 2026
Auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2026 kommt im Interview zur Sprache. „Welche Mannschaft unterstützen Sie?“, fragt Allen. „Gute Frage“, antwortet Leo: „Wahrscheinlich Peru, einfach wegen der emotionalen Bindung. Ich bin auch ein großer Italien-Fan… Die Leute wissen, dass ich Fan der White Sox bin, aber als Papst bin ich Fan aller Mannschaften.“
Die Interview-Vorab-Veröffentlichungen
Die Portale „Crux" und „El Comercio" veröffentlichten am 14.9, dem 70. Geburtstag des Papstes, auf Spanisch und Englisch Auszüge aus dem Interview, das Leo der Crux-Journalistin Elise Ann Allen für die Biographie mit dem Titel „Leon XIV.: ciudadano del mundo, misionero del siglo XXI“ (auf Deutsch etwa Leo XIV.: Weltbürger, Missionar des 21. Jahrhunderts) gewährt hatte.
Übersetzung: Birgit Pottler
(vatican news - bp/sst)
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