Radio-Akademie Leo XIII.: Folge 2
Der Historiker Jörg Ernesti hat sich schon vor einigen Jahren eingehend mit dem Papst beschäftigt, der an der Schwelle zwischen dem 19. Und dem 20. Jahrhundert die katholische Kirche leitete und mit vielen Herausforderungen der aufscheinenden modernen Welt konfrontiert wurde.
Als Leo XIV. einige Tage nach der Wahl selbst erklärte, warum er sich ausgerechnet für diesen Namen entschieden hatte, bezog er sich ausdrücklich auf den Papst, der mit seiner Sozialenzyklika die Grundlagen für die katholische Soziallehre gelegt hatte. Ein Auftakt und eine päpstliche Stellungnahme zur sozialen Frage, die Ernesti für Ende des 19. Jahrhunderts geradezu als „überfällig“ sieht:
„Die Industrialisierung beginnt ja bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in den großen Zentren des so genannten Frühkapitalismus. Stellungnahmen lagen schon aus verschiedenen Ländern vor, der Schweiz, den USA, Belgien, auch Deutschland, wenn wir beispielsweise an den großen Sozialbischof Ketteler von Mainz denken. Aber es war noch keine umfassende Stellungnahme des päpstlichen Lehramts zur sozialen Frage und zu dem Elend erfolgt, welches im Grunde genommen auch Folge dieser Industrialisierung gewesen war: Kinderarbeit, Frauenarbeit, Sonntagsarbeit, das Fehlen von Sozialversicherungssystemen…“, erklärt Ernesti.
Eine überfällige Stellungnahme der Kirche
Leo XIII. habe schon als Bischof in Perugia ein „großes Interesse für die soziale Frage“ und für die Folgen der Industrialisierung entwickelt, dies auch in Hirtenbriefen thematisiert, die teils veröffentlicht wurden – wohl auch mit ein Grund dafür, dass er im Konklave von 1878 relativ schnell zum überzeugendsten Kandidaten für das Papstamt wurde, bereits am 2. Tag wurde er durch die anwesenden Kardinäle gewählt.
„Als er dann Papst wurde, war ihm dieses Gebiet nicht neu“, unterstreicht Ernesti. Für die Enzyklika, eine von über 80 während seines Pontifikates, was bis heute einen Rekord darstellt, habe er sich insbesondere von Jesuiten aus dem Umkreis der Zeitschrift Civiltà Cattolica zuarbeiten lassen.
„Aber wir wissen aus Notizen, die sich erhalten haben, dass er sich selbst als Papst kurz vor der Veröffentlichung im Jahr 1891 sehr intensiv mit den Entwürfen der Enzyklika auseinandergesetzt hat und diese Entwürfe auch selbst noch mal überarbeitet hat. Man kann also sagen, dass in der Enzyklika auch wirklich der Papst selbst spricht.“
Gegen den Umsturzgedanken des Kommunismus
Wie der Historiker herausarbeitet, argumentiert dieses Dokument neuscholastisch und thomistisch, entsprechend der vorherrschenden Denkform in jener Zeit, die dieser Papst auch stark gefördert hatte. So veröffentlichte Leo XIII. beispielsweise die Enzyklika Aeterni Patris (1879). Aus dieser Orientierung am Denken des Thomas von Aquin komme auch die Verteidigung des Privatbesitzes, bemerkt der Historiker:
„Die Lösung der Sozialisten und Kommunisten war ja gewesen, die Reichen, die Arbeitgeber zu enteignen und den Besitz neu zu verteilen. Aber Leo in Rerum Novarum sagt: ,Nein, das Private, der Privatbesitz, ist eine Grundlage der Gesellschaftsordnung.“
Während vor allem die Kommunisten, aber auch die Sozialisten, einen Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung gefordert hatten, um auf die durch die Industrialisierung verursachten Probleme zu antworten, habe Leo XIII. damit argumentiert, dass nicht Gewalt oder ein Umbruch der Gesellschftsordnung die Lösung sein könnten, sondern der Dialog gesucht werden müsse – quer durch alle Parteien.
„Das heißt, die Arbeitgeber müssen mit den Arbeitnehmern ins Gespräch kommen und einvernehmliche Lösungen finden. Und die Arbeitnehmer haben das gute Recht, sich auch zu organisieren und für ihre Interessen einzutreten. Das bedeutet, sie können beispielsweise auch Gewerkschaften oder Syndikate bilden. Und der Papst verurteilt ganz klar die Exzesse, die mit der Industrialisierung verbunden waren und mahnt an dieser Stelle an, dass hier auch den Arbeitenden Gerechtigkeit widerfährt."
Die Grundlage der katholischen Soziallehre
Auch wenn sie noch nicht explizit genannt seien, könne man in dieser Enzyklika durchaus schon die drei Grundprinzipien vorfinden, die später die katholische Soziallehre prägen werden, auch wenn sie an dieser Stelle noch nicht explizit so benannt seien:
„Aber im Grunde genommen sind diese Prinzipien hier schon doch klar zu sehen. Einmal das Gemeinwohl, dem alle verpflichtet sind: also nicht die Sonderinteressen, die ich verfolge, sondern das Gemeinwohl, steht über allem. Zweitens, die Solidarität, die es braucht: also nicht den Kampf jeder gegen jeden, sondern gemeinschaftliche Lösungen suchen. Und drittens die Subsidiarität: man darf die sozialen Probleme nicht lösen, indem man immer nur auf den Staat, auf die obersten Instanzen schaut, sondern die Lösungen müssen von unten her kommen, vom Einzelnen, von der Familie, von der Kommune. Man muss sich von unten her vorarbeiten.“
Mehr zu dem Thema in unserer Radio-Akademie, die 2. Folge läuft am Sonntag, 12. Oktober, in unserer Abendsendung.
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(vatican news - cs)
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