Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag und herzlich willkommen!
In diesem Heiligen Jahr, das der Hoffnung gewidmet ist, denken wir über den Zusammenhang zwischen der Auferstehung Christi und den Herausforderungen der heutigen Welt nach, also den Herausforderungen an uns. Manchmal möchte Jesus, der Lebendige, auch uns fragen: „Warum weinst du? Wen suchst du?“ Herausforderungen kann man nämlich nicht alleine bewältigen, und Tränen sind ein Geschenk des Lebens, wenn sie unsere Augen reinigen und uns den Blick freimachen.
Der Evangelist Johannes lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ein Detail, das wir in den anderen Evangelien nicht finden: Als Maria von Magdala weinend am leeren Grab stand, erkannte sie den auferstandenen Jesus nicht sofort, sondern hielt ihn für den Wächter des Gartens. Tatsächlich war der Text bereits bei der Schilderung der Grablegung Jesu am Abend des Karfreitag sehr präzise: „An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war. Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei“ (Joh 19,41-42).
So endet in der Ruhe des Sabbats und in der Schönheit eines Gartens der dramatische Kampf zwischen Finsternis und Licht, der durch den Verrat, die Verhaftung, das Verlassenwerden, die Verurteilung, die Erniedrigung und die Tötung des Sohnes entfesselt worden war, der „die Seinen, die in der Welt waren, liebte und ihnen seine Liebe bis zur Vollendung erwies“ (Joh 13,1). Den Garten zu bebauen und zu hüten ist der ursprüngliche Auftrag (vgl. Gen 2,15), den Jesus zur Vollendung geführt hat. Sein letztes Wort am Kreuz – „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30) – lädt uns alle ein, diesen Auftrag, seinen Auftrag, wiederzuentdecken. Denn „er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf“ (V. 30).
Liebe Brüder und Schwestern, Maria von Magdala lag also nicht vollkommen falsch, als sie glaubte, den Wächter des Gartens zu treffen! Sie musste nämlich ihren Namen erneut vernehmen und ihre Aufgabe von dem neuen Menschen verstehen, der in einem anderen Text des Johannes sagt: „Siehe, ich mache alles neu“ (Offb 21,5). Papst Franziskus hat uns mit der Enzyklika Laudato si’ auf die dringende Notwendigkeit einer kontemplativen Sicht hingewiesen: Wenn der Mensch nicht Wächter des Gartens ist, wird er zu dessen Zerstörer. Die christliche Hoffnung antwortet also auf die Herausforderungen, vor denen die gesamte Menschheit heute steht, indem sie in dem Garten verweilt, in dem der Gekreuzigte wie ein Samenkorn niedergelegt wurde, um aufzuerstehen und reiche Frucht zu bringen.
Das Paradies ist nicht verloren, sondern wurde wiedergebracht. Der Tod und die Auferstehung Jesu sind somit die Grundlage für eine Spiritualität ganzheitlicher Ökologie, außerhalb derer die Worte des Glaubens keinen Einfluss auf die Realität haben und die Worte der Wissenschaften das Herz nicht erreichen. „Die ökologische Kultur kann nicht reduziert werden auf eine Serie von dringenden Teilantworten auf die Probleme, die bezüglich der Umweltschäden, der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und der Verschmutzung auftreten. Es müsste einen anderen Blick geben, ein Denken, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand bilden“ (Laudato si’, 111).
Deshalb sprechen wir von einer ökologischen Umkehr, die Christen nicht von jener Kehrtwende trennen können, die ihnen die Nachfolge Jesu abverlangt. Ein Zeichen dafür ist die Geste Marias, die sich an jenem Ostermorgen zum Herrn umwandte: Nur von Umkehr zu Umkehr können wir aus diesem Tal der Tränen zum neuen Jerusalem gelangen. Dieser Übergang, der im Herzen beginnt und spirituell ist, verändert die Geschichte, nimmt uns öffentlich in die Pflicht und setzt Formen von Solidarität in Gang, die von nun an die Menschen und die Geschöpfe vor den Begierden der Wölfe schützt, im Namen und Kraft dessen, der unser Hirte und Opferlamm ist.
So können die Söhne und Töchter der Kirche heute Millionen von jungen Menschen und Männern und Frauen guten Willens begegnen, die den Schrei der Armen und der Erde gehört haben und sich davon im Herzen berühren ließen. Viele Menschen wünschen sich zudem – durch eine direktere Beziehung zur Schöpfung – eine neue Harmonie, die die vielen Spaltungen hinter sich lassen lässt. Andererseits „rühmen die Himmel die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde“ (Ps 19,2–5).
Möge der Heilige Geist uns die Fähigkeit geben, auf die Stimme derer zu hören, die keine Stimme haben. Dann werden wir sehen, was unsere Augen noch nicht sehen können: diesen Garten oder dieses Paradies, dem wir nur entgegengehen können, wenn ein jeder von uns seine Aufgabe annimmt und erfüllt.
(vaticannews - übersetzung: silvia kritzenberger)
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