Gerichtsprozess im Vatikan Gerichtsprozess im Vatikan 

Vatikan: Ermittlungen gegen Becciu wegen „krimineller Vereinigung“

Am Donnerstag kündigte die vatikanische Staatsanwaltschaft nach einem sechsstündigen Verhör des Schlüsselzeugen Alberto Perlasca neue Ermittlungen an. Es handele sich um Untersuchungen zum Inhalt eines Telefongesprächs, das Kardinal Angelo Becciu mit dem Papst führte und das ohne das Wissen des Kirchenoberhauptes mitgeschnitten wurde. Die von einem Verwandten des sardischen Kardinals aufgenommene Tonaufnahme gehört zu den Ermittlungsakten der italienischen Staatsanwaltschaft von Sassari.

Mario Galgano und Salvatore Cernuzio - Vatikanstadt

Die Aufzeichnung eines Telefongesprächs zwischen Kardinal Angelo Becciu und Papst Franziskus wurde am Donnerstag in der Multifunktionshalle der Vatikanischen Museen während der 37. Gerichtsverhandlung über die Verwaltung der Gelder des Heiligen Stuhls übertragen. Die Anwesenden, die zur Vernehmung des „Kronzeugen“ Alberto Perlasca gekommen waren, hörten sich die vollständige Tonaufnahme an, in der der Kardinal Becciu den Papst zehn Tage nach dessen Entlassung aus der Gemelli-Klinik und drei Tage vor Beginn des Prozesses bat, zu bestätigen, dass es Franziskus selbst gewesen sei, der die Zahlungen an die „Vermittlerin“ Cecilia Marogna für die Freilassung einer in Mali entführten kolumbianischen Nonne genehmigt hatte.

Das mehr als fünfminütige Telefonat fand am 24. Juli 2021 um 14.55 Uhr in der Wohnung des Kardinals an der Piazza del Sant'Uffizio statt und wurde von Beccius Verwandter Maria Luisa Zambrano in Anwesenheit eines nicht identifizierten Mannes live aufgezeichnet. Das von Staatsanwalt Alessandro Diddi präsentierte „Fundstück“ wurde von der „Guardia di Finanza Oristani“ (italienische Finanzpolizei) im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Sassari gegen die Leitung der Genossenschaft Spes, die von Beccius Bruder Tonino geführt wird, und gegen die Familie des Kardinals auf dem Telefon von Zambrano gefunden.

Neue Untersuchung

Die Unterlagen wurden per Rechtshilfeersuchen an das Büro der vatikanischen Staatsanwaltschaft übermittelt und am Donnerstag vor Gericht von Diddi erläutert. Er erklärte in diesem Zusammenhang, dass dieses und anderes Material im Vatikan nun eine neue Untersuchung wegen „krimineller Vereinigung“ ausgelöst habe, an der auch Kardinal Becciu beteiligt gewesen sein soll.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Sassari

Diddi listete die Dokumente auf, die aus den Akten von Sassari hervorgingen, und berichtete von den Aussagen des emeritierten Bischofs von Ozieri, Sergio Pintor, der 2020 verstarb, über die Beziehungen zur Familie Becciu, die seiner Meinung nach die Caritas „auf familiärer Ebene“ leitete, mit Spuren von „starker Einmischung in die pastoralen Aktivitäten“. Es war auch die Rede von 927 Dokumenten für den Transport von 18.000 Kilogramm Brot, das von Spes hergestellt und von Pfarrei zu Pfarrei geliefert werden sollte, um die von der Diözese an die Genossenschaft gezahlten Beträge zu rechtfertigen. Die Dokumente scheinen jedoch „gefälscht“ worden zu sein.

Kardinal Angelo Becciu
Kardinal Angelo Becciu

Verhör von Perlasca

Durch die Vorlage der neuen Dokumente wurde die seit langem erwartete Vernehmung von Perlasca, dem ehemaligen Leiter des Verwaltungsbüros des Staatssekretariats, um etwa anderthalb Stunden verschoben. Sie begann um 11.15 Uhr und endete um 17.45 Uhr. Über sechs Stunden, in denen der Monsignore aus Como alle wesentlichen Punkte des Prozesses ansprach: vom Verkauf des Gebäudes in London über die Zahlungen an Marogna und an die Caritas in Ozieri, von den Beziehungen zu den Mitangeklagen Torzi und Mincione bis hin zur Art der Investitionen des Staatssekretariats. Investitionen, von denen er versicherte, dass er sie nie hätte genehmigen können.

„Im Büro habe ich als primus inter pares koordiniert. Ich hatte keine Entscheidungsbefugnis, nicht einmal der IOR (vatikanisches Geldinstitut, Anm. d. Red.) erkannte meine Unterschrift an. Ich habe mich im Sinne der Hilfeleistung geäußert und nicht im Sinne der Übernahme von Verantwortung, was die Aufgabe und das Gehalt des Vorgesetzten ist“, so Perlasca. Die finanziellen Aktivitäten lagen „vollständig in den Händen“ von Fabrizio Tirabassi (ebenfalls Angeklagter): „Ich habe mit allen Mitteln versucht, ihn ersetzen zu lassen. Ich mochte ihn nicht sonderlich. Dann muss man die Pferde, die man hat, ins Rennen schicken“, erläuterte Perlasca vor Gericht.

Beziehungen zu den Mitangeklagten

Perlasca erzählte weiter, dass man „nach den Verlusten von 2008 und 2011“ beschlossen habe, „stabilere Investitionen“ zu tätigen und sich „dem Immobiliensektor“ zu öffnen.  Das Geschäft mit dem „London Palace“ in der Sloane Avenue war eines davon und wurde von dem Finanzier Raffaele Mincione vorgeschlagen. Das vatikanische Staatssekretariat habe in Minciones Fonds Geld investiert, empfahl aber, „Spekulationen“ zu vermeiden. Mincione hingegen „machte, was er wollte, wir ermahnten ihn oft. Er finanzierte seine Aktivitäten mit unserem Anteil an der Liquidität. Wir haben viel Geld verloren“, sagte Perlasca und drehte sich mehrmals zu Mincione um, der in der letzten Reihe saß. Im Sommer 2018 habe der Heilige Stuhl „die Nase voll davon“ gehabt und beschlossen, die Beteiligung am Fonds abzustoßen: „Der Glaube ist unendlich, die Geduld ist begrenzt“, so Perlasca.

Das Treffen 2018 in London

Viel Raum wurde bei der Gerichtsverhandlung dann dem Treffen in London vom 20. bis 23. November 2018 eingeräumt, an dessen Ende die beiden Vereinbarungen unterzeichnet wurden, mit denen die Überführung von Gianluigi Torzi (Angeklagter) in den Fonds von Mincione festgelegt wurde. In Wirklichkeit sollte es aber nicht so sein. „Es war ein technisches Treffen, kein Treffen zur Entscheidungsfindung. Es sollte dem vollständigen und unmittelbaren Erwerb des Eigentums an dem Grundstück dienen. Niemand war psychologisch bereit auszusteigen, es war einfach nur ein Treffen, das dem Studium hätte dienen sollen“, sagte Perlasca und erklärte, dass er nicht teilgenommen hatte, „weil ich mehr als nur Zuhören sowieso nicht hätte machen können“.

Er habe Tirabassi und Crasso mit dem Auftrag nach London geschickt, einen Vorschlag zurückzubringen, der den Vorgesetzten - also dem Substituten Edgar Peña Parra, der bereits Becciu ersetzt hatte - zur Prüfung vorgelegt werden sollte. Doch letzten Ende seien die Unterhändler mit einem Tirabassi framework agreement, also einer bereits bindenden Vereinbarung, nach Rom zurückgekehrt. Tirabassi habe wegen der seiner Aussage nach äußerst günstigen Konditionen auf einen schnellen Abschluss gedrängt, er selbst habe sich gesagt: „Wenn die Experten sagen, dass alles gut ist, dann ist es auch gut", so Perlasca.

Tausend Aktien von Torzi

Die in London getroffene Vereinbarung beinhaltete tausend stimmberechtigte Aktien, die Torzi die vollständige Kontrolle über das London-Gebäude gaben. Es war Gianluca Dal Fabbro, ein Mitarbeiter des Staatssekretariats, der den Verwaltungs-Leiter auf den „Fehler“ in der Vereinbarung aufmerksam machte. „Er sagte mir: Da rauszukommen, kostet euch eine Menge Geld. In diesem Moment wurde uns das Drama klar. Dal Fabbro erklärte mir zum ersten Mal den Unterschied zwischen unseren 30.000 Aktien, die praktisch nichts zählten, und den 1.000 Aktien. Ich war am Boden zerstört, drehte mich um und sagte zu Tirabassi: Ist dir klar, was du getan hast? Er hatte so viel Anstand, den Mund zu halten.“

Betrug

Perlasca beschloss, Torzi anzuzeigen: „'Das ist ein Betrug', habe ich allen gesagt, aber die meisten wollten zahlen oder verhandeln. Sie sagten mir, ich solle mich von nun an nicht mehr um die Operation kümmern. Tirabassi ging voran. Eines kann ich Ihnen sagen: Ich war sehr glücklich darüber.“ Perlasca verriet jedoch, dass er „Traurigkeit und innere Wut“ empfand, als er „durch die Gerüchteküche“ erfuhr, dass der Heilige Stuhl Torzi bezahlt hatte.

Die Zahlung an Marogna

Mehr als eine Stunde des Verhörs von Perlasca war seinen Beziehungen zu Kardinal Becciu gewidmet, der kürzlich vom Gericht von Como dazu verurteilt wurde, Perlasca selbst und seiner Bekannten Genoveffa Ciferri eine Entschädigung zu zahlen. Perlasca wurde aufgefordert, Rechenschaft über die Zahlungen an Cecilia Marogna, einer Managerin aus Cagliari, abzulegen, die sich mit ihrer slowenischen Firma als Vermittlerin für die Freilassung der kolumbianischen Nonne angeboten hatte. „Ich wurde gebeten, Zahlungen zu leisten. Ich wusste nicht, ob es an einen Mann oder eine Frau war. Lösegeld und Erpressung werden nie bezahlt, aber ich habe trotzdem gesagt: OK, ich mache die Operation. Wenn der Vorgesetzte es sagt, hört man zu. Wenn er es nicht sagt, fragen Sie nicht, Sie müssen es wissen. Das ist unsere Schule.“

„Cecilia Zulema“

Bei der Vernehmung am 29. April 2020 sagte Perlasca, er habe „zum ersten Mal erfahren, dass diese Frau für Luxusgüter ausgegeben hatte.... Ich ging zur Wohnung des Kardinals und fragte: ,Aber hat sie betrogen?´ Becciu antwortete: ,Wenn es wahr ist, rufe ich sie an und sage ihr, dass sie es zurückgeben muss.´“ Noch zu Marogna erklärte Perlasca, dass ein Brief beim Staatssekretariat eingegangen sei, unterzeichnet von einer gewissen Cecilia Zulema, die sich als italienische Geheimagentin vorstellte und um einen Beitrag für eine Mission in Libyen bat. Die Mitteilung sei dem damaligen Päpstlichen Rat Cor Unum übergeben worden: „Als ich im Verhör Cecilia Marogna hörte, fiel ich aus allen Wolken, denn das Letzte, was ich annahm, war, dass es sich um dieselbe Person handelte.“

Das Gespräch mit Cantoni

Auch beantwortete Perlasca die Frage, ob der derzeitige Kardinal Oscar Cantoni, Bischof von Como, gebeten worden sei, „der vatikanischen Justizbehörde andere Dinge zu sagen“. Was für die Ermittler den Straftatbestand der Anstiftung darstellen würde. „Mein Bischof teilte mir mit, dass Becciu angerufen habe, um mir mitteilen zu lassen, dass ich meine Äußerungen zurücknehmen müsse, da ich sonst sechs Monate ins Gefängnis käme. Ich habe den Vorgang benannt und auf ihn hingewiesen“, so Perlasca.

Abendessen in Rom

Der Monsignore erinnerte sich auch an das Abendessen mit Becciu im September 2020 in einem Restaurant in Rom: „Ich habe ihn eingeladen, um herauszufinden, was er für mich tun würde. Das heißt, ob Becciu, wie von ihm selber gewünscht, beim Papst Fürsprache für seine Rehabilitierung einlegen würde. Er erzählte mir von einer ominösen Kardinalskommission, die den Fall außergerichtlich behandeln sollte. Ich habe auch gefragt: Aber ist diese Ordensfrau freigelassen worden? Das sei eine sehr langwierige Angelegenheit, die 3-4 Jahre dauern werde, antwortete Becciu. Ich habe verstanden, dass er mir nicht die Wahrheit sagte. Was er nicht verstand, war, dass ich nicht mehr jedem seiner Worte Glauben schenkte, dass ich mich bereits von ihm distanziert hatte, nach 11 Jahren voller Hingabe bei meiner Arbeit mit ihm. Und um seine Güte mir gegenüber zum Ausdruck zu bringen, zeigte er mich in Como an.“

Das Verhör von Perlasca wurde an diesem Freitag fortgesetzt.

(vatican news)

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25. November 2022, 12:25