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P. Hans Zollner P. Hans Zollner 

„Das Thema Missbrauch nicht verdrängen“

Der deutsche Jesuit Hans Zollner warnt vor einer Verdrängung des Themas Missbrauch. „Die meisten Menschen, die selbst nicht davon betroffen sind, wehren das Thema als unangenehm und belastend ab.“

Das sagte der Psychologe und Theologe, der an der Päpstlichen Uni Gregoriana in Rom das Institut für Anthropologie leitet, jetzt im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Ich habe über die Jahre hinweg gelernt, dass bei dem Wort ‚Missbrauch‘ viele Leute automatisch dichtmachen.“

Zu den kirchlichen Missbrauchsskandalen bemerkt Zollner, „dass es die unheilvolle Kombination aus physischer, psychischer und sexueller Gewalt schon immer und überall gab“. Das dürfe allerdings „keine Ausrede dafür sein, die sexuelle Gewalt und den Machtmissbrauch innerhalb der Kirche zu verleugnen“.

„Meist erlebe ich Offenheit, auch in Regionen, wo man es nicht erwartet“

Benedikt XVI. habe während seines Pontifikats (2005-13) „verschärfte Regeln gegen sexuelle Gewalt erlassen“, 2014 sei dann unter Papst Franziskus die päpstliche Kinderschutzkommission entstanden. „Beides war für meine Arbeit wichtig.“ Vor gut zehn Jahren sei er „mit Argwohn beobachtet“ worden, als er an der Gregoriana einen Kongress über Missbrauch organisiert habe. „Trotzdem kamen auch die Präfekten wichtiger Kongregationen“, so Zollner. Heute stoße er bei Vortragsreisen im Westen kaum mehr auf Widerstand, „dafür in Osteuropa und auch in Italien oder Spanien“.

Das Institut für Anthropologie in der römischen Villa Malta
Das Institut für Anthropologie in der römischen Villa Malta

Noch immer gebe es Bischöfe, die sich einredeten: „So etwas gibt es bei uns nicht“. Der Jesuit wörtlich: „Meist erlebe ich aber Offenheit, auch in Regionen, wo man es nicht erwartet, weil die Katholiken dort noch andere Nöte haben: etwa in Afrika und Asien“.

Nicht nur Bischöfe vertuschen

Auf die Frage, warum in deutschen Bistümern Missbrauchsfälle häufig vertuscht wurden und auch jetzt oft nur zugegeben wird, was sich nicht mehr verbergen lässt, meinte Zollner, das liege „oft an der Angst der Bischöfe, persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen“. Er ergänzt: „ Es sind aber keineswegs nur Bischöfe, sondern auch einfache Gemeindemitglieder, die meinen, man tue der Kirche einen Gefallen, wenn man ihr Bild in der Öffentlichkeit schützt.“

Nach Zollners Urteil gibt es derzeit „in der Kirche eine doppelte Krise“: die des Missbrauchs und die der Vertuschung. „Doch jeder kann etwas dagegen tun. Schon allein durch Zuhören und Begleiten, aber auch durch den Mut, Konflikte einzugehen. Ich sage den Studenten: Scheut euch nicht, die Kirche zu kritisieren! Nur dann können wir sie verändern.“ Der katholischen Kirche in Deutschland rät Zollner, die Aufklärung von Missbrauchsfällen an den Staat abzugeben. Allerdings bezweifle er, „dass die Politiker das wollen“.

(die zeit – sk)
 

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19. Januar 2023, 15:11