Suche

Am Petersplatz Am Petersplatz 

Päpstliche Kinderschutzkommission legt zweiten Jahresbericht vor

Der am Donnerstag veröffentlichte Bericht enthält einen Leitfaden zum Thema Wiedergutmachung und spricht Empfehlungen für über 20 Ortskirchen aus. In den Überblick zur Safeguarding-Lage von Kirchen in Europa, Afrika und Asien flossen für den neuen Bericht verstärkt Berichte von Betroffenen und erstmals von kirchenunabhängigen Organisationen ein. Mit dem Evangelisierungs-Dikasterium nimmt der Bericht auch eine Vatikanbehörde in den Blick.

Anne Preckel – Vatikanstadt

Der Jahresbericht der Kinderschutzkommission sei „Kompass“ und zugleich „Chronik auf dem weltweiten Pilgerweg der Kirche hin zu mehr Verantwortlichkeit“, schreibt der neue Präsident der Päpstlichen Kinderschutzkommission in einer Einleitung zu dem Bericht. Missbrauchsüberlebende seien in diesem Prozess eine „prophetische Stimme“, formuliert der französische Erzbischof Thibault Verny.

In dem 200-Seiten-Bericht sind Erfahrungen von 40 Überlebenden aus verschiedenen Kontinenten eingeflossen, die professional angehört worden seien (victim/survivor focus groups). Ziel ist laut Kommission „Gerechtigkeit aus Umkehr“ (conversional justice), angestrebt wird ein Kultur- und Bewusstseinswandel im Umgang mit Missbrauch, der sich an Taten beweisen muss. Missbrauchsprävention sei keine „Notmaßnahme“, sondern eine Grundlage kirchlicher Gemeinschaft und „unabdingbare Voraussetzung“ dafür, das Evangelium glaubwürdig zu verkünden und zu leben, so Verny.

Was steht drin, was nicht? Eine Einordnung des Kinderschutzberichtes (A. Preckel, Vatican News)

„Wiedergutmachung“ ganzheitlicher verstehen

Der Bericht enthält einen Leitfaden für „Wiedergutmachung“ (reparation), der unter Einbeziehung von Missbrauchsbetroffenen erstellt wurde. Die Kinderschutzkommission macht damit deutlich, dass das kirchliche Verständnis von Wiedergutmachung ganzheitlicher und opferzentriert sein sollte. Die erarbeiteten Richtlinien sollen kirchlichen Gemeinschaften Orientierung bei der Umsetzung von Wiedergutmachungsmaßnahmen geben. Empfohlen werden die Schaffung „sicherer Räume“, in denen Überlebende Erfahrungen mitteilen können, die Übernahme kirchlicher Verantwortung durch „öffentliche und private Entschuldigungen“ (apologies) in opfersensibler Sprache (victim-focused communication), spirituelle, psychotherapeutische und finanzielle Unterstützung von Betroffenen sowie Sanktionen für Täter und Ermöglicher von Missbrauch. Inwiefern die Kirche zusätzliche finanzielle Entschädigungen zahlen sollte, die über verordnete Beträge für Therapie und Unterstützung der Opfer hinausgehen, sei eine unbeantwortete Frage, heißt es. Zwar gebe es laut Kirchenrecht eine Grundlage für Schadensersatzklagen (Kanon 1729), der Umfang der Klage bleibe aber begrenzt. Hier brauche es weitere Vertiefung.

Erfahrungen und Forderungen von Überlebenden

In einem eigenen Abschnitt werden in dem Bericht Erfahrungen und Forderungen von Überlebenden zusammengefasst, die für den zweiten Bericht erstmals in größerer Zahl und international angehört wurden. Sie wünschen sich Verbesserungen in den Bereichen Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung, Kooperation der Kirche mit staatlichen Behörden sowie im Umgang der Vatikanbehörden mit Betroffenen. Die Gruppe wurde auf freiwilliger Basis zusammengestellt und nach Kriterien der Vielfalt in Bezug auf Alter, Geschlecht und ethnischen Hintergrund ausgewählt, wobei vier globale Regionen berücksichtigt wurden. Die Überlebenden beklagen, dass Missbrauch auch heute noch andauere und ungestraft bleibe, so etwa Vergehen gegen erwachsene Ordensfrauen. Dass in kirchlichen Gemeinschaften Missbrauchsvergehen tendenziell als „Sünde“ und nicht Verbrechen bezeichnet würden, finden sie unangemessen.

Akzentuiertere Rolle der Nuntien 

Wie schon in ihrem ersten Jahresbericht spricht sich die Kinderschutzkommission für ein standardisiertes Verfahren zur Entlassung von leitenden Klerikern aus, die Missbrauchsüberlebenden durch Verwaltungsmaßnahmen oder Unterlassungen zusätzlichen Schaden zugefügt haben. Die Gründe für einen Rücktritt oder eine Entlassung in Zusammenhang mit Missbrauch müssten „klar kommuniziert“ werden. Um die Fortschritte der Ortskirchen und Ordensgemeinschaften bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen zu bewerten, brauche es ein internationales akademisches Netzwerk unter Beteiligung katholischer Hochschulen und Experten. Es brauche standardisierte Melde- und Beschwerdemechanismen, heißt es in dem Bericht weiter. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, einen „systemischen und obligatorischen Melde-/Beschwerdemechanismus” einzurichten, der von den verschiedenen Schutzorganen auf lokaler Ebene genutzt werden kann. Schlüsselfiguren seien die apostolischen Nuntien, die die Umsetzung von Schutzmaßnahmen in den Ortskirchen unterstützen und begleiten sollen, wird im zweiten Jahresbericht hervorgehoben. Sie seien eingeladen, über die Maßnahmen der Ortskirchen zu referieren, damit diese verifiziert werden könnten.

Kirchenunabhängige Informationen flossen ein

Über die Hälfte des Berichtes nimmt die Bestandsaufnahme zur Safeguarding-Situation in den verschiedenen Ortskirchen ein, die auf Angaben und Daten der lokalen Bischofskonferenzen, Ordensgemeinschaften und Diözesen beruht. Die Kinderschutzkommission hatte für das Jahr 2024 Fragebögen verschickt, deren Antworten in den Bericht eingeflossen sind. Zu diesen Daten werden für den zweiten Jahresbericht der Kinderschutzkommission erstmals auch Berichte kirchenexterner, zivilgesellschaftlicher Organisationen herangezogen, was dem Berichtsmechanismus des UN-Kinderrechtsausschusses entspreche. Diese „methodische Neuerung“ solle dazu dienen, „die von den kirchlichen Behörden übermittelten Daten zu vergleichen, zu kontextualisieren und zu verifizieren“. Aufgeführt wird in dem Bericht auch, wenn von Diözesen keine Angaben gemacht oder keine Zahlen genannt wurden.

Im aktuellen Bericht werden Informationen zu über 20 Ländern in Europa, Asien und Afrika zusammengefasst: Italien, Slowakei, Portugal, Bosnien-Herzegowina, Malta, Griechenland, Korea, Japan, Gabon, Äquatorialguinea, Äthiopien, Guinea, Mosambik, Lesotho, Namibia, Algerien, Marokko und Westsahara, Libyen, Tunesien, Mali und Kenia. Die Kinderschutzkommission benennt zu jedem Land Herausforderungen (challenges) und spricht Empfehlungen (recommendations) aus. Empfohlen werden zum Beispiel mehr Unterstützung für Betroffene und „informiertes Zuhören“, das Befolgen bestehender Regeln und Prozeduren sowie effektivere Strukturen für Safeguarding.

Herausforderungen auf Kontinentalebene

Auf Kontinentalebene – zu Afrika, Asien/Ozeanien, Amerika und Europa - werden „Positive Trends“ und „Herausforderungen“ benannt, die in einem gesonderten Kapitel aufgeführt werden. Einige Kirchen in Amerika, Europa und Ozeanien zeigten ein starkes Engagement für Wiedergutmachung, wird etwa angemerkt, schienen aber übermäßig auf finanzielle Entschädigung fixiert. Er brauche hingegen ein „ganzheitliches Verständnis” des Heilungsprozesses, so die Kinderschutzkommission. In vielen Gebieten Mittelamerikas, Lateinamerikas, Afrikas und Asiens fehlten noch immer angemessene Ressourcen für die Begleitung der Opfer/Überlebenden, hält der Bericht weiter fest. Er nennt auch vorbildliche Praktiken, darunter etwa die traditionelle Heilungspraxis Hu Louifi in Tonga; der Jahresbericht über Begleitdienste für Opfer in den Vereinigten Staaten; die laufenden Überarbeitungsprozesse der Leitlinien in Kenia, Malawi und Ghana; und der Transformationsprozess ,Il coraggio di guardare' (Der Mut zum Hinsehen) in der italienischen Diözese Bozen-Brixen. Kulturspezifische Unterschiede im Umgang mit Safeguarding und Missbrauch werden in dem zehn Seiten umfassenden Kapitel nicht vertieft.

Diözesen in Italien

Laut Kinderschutzkommission wurden in Italien bei der Entwicklung von Prävention und Safeguarding insgesamt Fortschritte erzielt, allerdings gebe es noch große regionale Unterschiede, es fehle eine zentrale Stelle für die Entgegennahme und Analyse von Missbrauchsmeldungen und kulturelle Resistenzen beim Umgang mit dem Thema müssten überwunden werden. Der Jahresbericht sei eine Grundlage für Diskussion, um gemeinsam Fortschritte zu erzielen. Italiens Diözesen wird in dem Bericht mit gut 20 Seiten viel Platz eingeräumt. Opferverbände in Italien oder in anderen Ländern wurden für den jahresbericht 2024 nicht konsultiert, hingegen führte die Kommission mit Betroffenen Einzelgespräche. 

Empfehlungen an Vatikanbehörde

Die Päpstliche Kinderschutzkommission nimmt in ihrem Bericht auch Safeguarding-Standards der römischen Kurie in den Blick. In jedem Jahresbericht stehe eine andere Vatikanbehörde im Fokus, informiert sie, im aktuellen Bericht sei es das Dikasterium für Evangelisierung, genauer die Abteilung für Erstevangelisierung und neue Teilkirchen. Es gehe dabei um die Förderung des Schutzes der Menschenrechte im Heiligen Stuhl und „Papst Franziskus‘ Vision einer Kurie, die im Dienst der Ortskirchen steht“. Dem Evangelisierungs-Dikasterium empfiehlt die Kommission besondere Sorgfalt bei Auswahlverfahren für neue Bischöfe sowie den Ausbau von Ausbildungseinheiten für die Kandidaten. Auch sollten bei Umsetzung der vatikanischen Verfahrensnormen (Vos estis lux mundi) Kompetenzüberschneidungen zwischen mehreren Dikasterien vermieden werden, weil es dadurch zu „Verwirrung und Verzögerungen bei der Einleitung von Untersuchungen und der Bearbeitung von Beschwerden“ kommen könne.

Memorare-Initiative

Schließlich wird im letzten Teil des Dokumentes über die so genannte Memorare-Initiative informiert, die 2022 von der Kommission ins Leben gerufen wurde. Sie hat zweckgebundene Mittel von Bischofskonferenzen, Orden und Stiftungen gesammelt, um die weniger ressourcenstarken Kirchen des Globalen Südens im Safeguarding-Bereich zu unterstützen. Derzeit bestünden 20 Vereinbarungen zur Unterstützung lokaler Memorare-Initiativen weltweit, ein Dutzend weitere seien in Verhandlung.

Papst Leos Vorgänger Franziskus hatte die in seinem Pontifikat gegründete Kinderschutzkommission zur Überwachung und Dokumentation der angeordneten Aufarbeitungs- und Schutzmaßnahmen in der Kirche weltweit aufgefordert und dementsprechend um Berichte dazu gebeten. Die nun veröffentlichte Untersuchung ist die erste im Pontifikat von Papst Leo XIV. und unter dem neuen Präsidenten der Kommission, Erzbischof Thibault Verny. 

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

16. Oktober 2025, 12:59