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Oktober 1962: Die Konzilsväter ziehen feierlich in den Petersdom ein Oktober 1962: Die Konzilsväter ziehen feierlich in den Petersdom ein  (Archivio Fotografico Vatican Media)

60 Jahre „Nostra Aetate“: Ultra-kurz und sehr umstritten

Es ist das kürzeste Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils – und war seinerzeit eines der umstrittensten. „Nostra Aetate“ erblickte vor sechzig Jahren unter turbulenten Umständen das Licht der Welt.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Am Anfang steht ein Schema gegen Antisemitismus: Johannes XXIII. lässt es ausarbeiten, im Sommer 1962 geht es an die Zentralkommission des Konzils, doch auf arabischen Druck hin wird es zurückgezogen. Damit will sich der deutsche Kardinal Augustin Bea vom „Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen“ (das heutige Ökumene-Dikasterium) nicht zufriedengeben: Er sorgt dafür, dass der entworfene Text anderthalb Jahre später ins Schema über die Ökumene eingesetzt wird. Doch auch dagegen hagelt es Einwände, so dass der Text in den Anhang des Schemas abwandert. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre dort verblieben, zusammen mit einem Text zum Thema Religionsfreiheit.

Doch im September 1964 – nach der Heilig-Land-Reise des neuen Papstes Pauls VI. – wagt das Einheits-Sekretariat einen neuen Anlauf, der wieder auf heftige Kritik stößt. Daraufhin fügt das Sekretariat zwei Monate später Ausführungen zu anderen Religionen hinzu. Ein Trick, wie der Konzilskommentar der Theologen Karl Rahner und Herbert Vorgrimler urteilt. Die Behandlung der anderen Religionen soll „als eine Art Vehikel dienen, mit dessen Hilfe eine möglichst große Zustimmung der Konzilsväter zu der ‚Judenerklärung‘ gewonnen werden sollte“. Die Rechnung geht tatsächlich auf: „Nostra Aetate“ wird im Oktober 1965 angenommen, mit 2.221 Ja- zu nur 88 Nein-Stimmen.

Die Einberufungsbulle des Konzils von Johannes XXIII.
Die Einberufungsbulle des Konzils von Johannes XXIII.   (@FrancoPiroli)

„Eine Art Vehikel, um eine möglichst große Zustimmung zu der ‚Judenerklärung‘ zu erreichen“

Man muss diese komplizierte Vorgeschichte bedenken, wenn man die Konzilserklärung zu den nichtchristlichen Religionen sechzig Jahre später würdigen will. Natürlich ist es aus heutiger Sicht problematisch, dass da die Beziehungen zum Judentum in einem Atemzug mit denjenigen zu anderen nichtchristlichen Religionen abgehandelt werden. Nicht ohne Grund ist das Judentum-Dossier heute im Vatikan nicht beim Dikasterium für Interreligiöses angesiedelt, sondern beim Ökumene-Dikasterium. Auch dass das Thema Judentum nur in einer „Erklärung“ und nicht in einer höhergelagerten „Konstitution“ angesprochen wird, schmälert gewissermaßen ihren Wert. Aber diesen Status als „Erklärung“ hat „Nostra Aetate“ mit der gleichfalls bahnbrechenden „Dignitatis Humanae“ über die Religionsfreiheit gemein.

„Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“

Bei allen Einwänden (wie sie u.a. der reformierte Theologe Karl Barth vorbrachte) darf laut Rahner/Vorgrimler „nicht übersehen werden, dass die Erklärung in der Geschichte der Kirche, ihrer Konzilien und ihrer Theologie einzigartig ist“. Sie lässt sich nicht eingehender über den Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche aus, sondern startet mit der Frage, „was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“. Einer der wichtigsten Abschnitte lautet: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“

Der Petersdom als Konferenzaula
Der Petersdom als Konferenzaula   (Archivio Fotografico Vatican Media)

Eigens behandelt werden nur der Islam und das Judentum

Ausführlicher behandelt werden nur der Islam und das Judentum – in dieser Reihenfolge. Wobei der Abschnitt zum Judentum etwa dreimal so lang und theologisch viel gründlicher durchgearbeitet ist als der zum Islam. Den Abschluss der Erklärung bilden Gedanken zur „universalen Brüderlichkeit“. Genau hier hat der verstorbene Papst Franziskus mit seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ (2020) und im Jahr zuvor mit der katholisch-islamischen Erklärung von Abu Dhabi zur universellen Brüderlichkeit aller Menschen angesetzt.

Übrigens verurteilt „Nostra Aetate“ auch „jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht“. Wer heute sechzig Jahre „Nostra Aetate“ feiert, der erinnert also an einen trotz seiner Kürze äußerst vielseitigen Text, der sehr viel mehr ist als die „Magna Charta der jüdisch-christlichen Beziehungen“ (Kardinal Kurt Koch).

(vatican news)
 

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28. Oktober 2025, 12:43