Der Leipziger Maler Michael Triegel in Rom Der Leipziger Maler Michael Triegel in Rom 

Michael Triegel über sein Altarbild in Rom: „Hier klappt Ökumene ganz gut"

Der Maler Michael Triegel sieht in der Übersiedlung seines Naumburger Altarbilds auf zwei Jahre in den Vatikan ein Zeichen ökumenischer Verständigung – und ein stilles Wunder persönlicher Art. Denn im Campo Santo Teutonico steht das Retabel nur wenige Meter vom Grab eines Bettlers, der auf dem Altarbild als Petrus zu erkennen ist. Im Gespräch sagte uns Triegel, für ihn erfülle sich in Rom, was das Werk ursprünglich bezweckte: die Heilung alter Wunden und ein Dialog über Glauben und Würde.

Gudrun Sailer – Vatikanstadt

Herr Triegel, was bedeutet es für Sie, dass Ihr Altarbild, das Sie für den Evangelischen Dom in Naumburg gemalt haben und das dort aus Denkmalschutzgründen wieder abmontiert werden musste, jetzt für zwei Jahre ausgerechnet in Rom steht, zwei Schritte vom Petersdom?

Triegel: Zuerst einmal könnte es eine vollkommene Freude sein, dass ich in der Stadt, die für mich im Leben und für die Kunst vielleicht die wichtigste gewesen ist, jetzt eines meiner wichtigsten Werke zeigen kann. Das ist natürlich ein großes Geschenk. Ein Steinwurf von meinen großen Heroen entfernt im Vatikan. Natürlich hätte ich gerne auf den Umzug verzichtet, weil dieses Retabel just für den Naumburger Dom geschaffen worden ist. Und ich glaube, man kann auch die, wenn man so will, künstlerische Leistung nur wirklich einschätzen, wenn man es vor Ort sieht. Es ist ja nicht so, dass man ein Bild nur innerhalb von vier Ecken malt, sondern man bezieht den Raum ein, man bezieht die Funktion ein, die Lichtsituation, die Höhe der Stellung. Und das ist, glaube ich, nur in Naumburg nachvollziehbar. Das ist der Wermutstropfen dabei. Aber im Großen und Ganzen: Dass es nun ausgerechnet Rom ist, ist etwas sehr Schönes.

Hier das Interview mit Michael Triegel als Podcast:

„Und auf einmal merkt man: hier klappt Ökumene ganz gut“

Und zum anderen?

Triegel: Ein anderer Aspekt ist mir noch sehr wichtig: Die Idee zur Schaffung des Retabels war ja, dass die Wunden, die das 16. Jahrhundert schlug mit der Zerstörung der Mitteltafeln von Cranach im Bildersturm, geheilt, gelindert werden sollten, dass es auch als ökumenisches Projekt gedacht war. Nun hat im Fall dieses Streits kaum mehr jemand über diese Intentionen gesprochen, sondern immer nur über den Aufstellungsort. Und auf einmal merkt man: Hier klappt Ökumene ganz gut. Es war ganz selbstverständlich, dass dieses Retabel am katholischen Camposanto Teutonico Aufnahme finden kann. Da gab es keine Animositäten - und andersherum genauso nicht. Indirekt ist das sogar das, was wir mit dem gesamten Bildprogramm wollten.

Der Cranach-Triegel-Altar in der Kirche des deutschen Friedhofs beim Petersdom
Der Cranach-Triegel-Altar in der Kirche des deutschen Friedhofs beim Petersdom   (©Bertram Kober / Punctum)

Auch das Altarbild selbst ist gewissermaßen konfessionsübergreifend. Zum einen haben die evangelischen Naumburger Sie als katholischen Künstler – Sie haben die Taufe 2014 empfangen - mit diesem Bild beauftragt. Zum anderen ist unter den zehn Heiligen, die hinter Maria und dem Jesuskind stehen, der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Ein in sich ökumenisches Retabel?

Triegel: Gerade was die Kunst angeht, würde ich da gar keine so großen Unterschiede machen. Wir sprechen vom Menschen. Das Nachdenken über Gott ist für mich in erster Linie auch ein Nachdenken über den Menschen und seine Verhältnisse, sein Leben. Die Idee, eine Sacra Conversazione zu malen, also ein "heiliges Gespräch", ist mir gekommen, weil wir nicht genau wissen, was auf dem Cranach-Altar drauf gewesen ist. Man weiß nur: Maria mit Kind und Heiligen. Das interpretiere ich als Sacra Conversazione. die Idee finde ich eine ganz wunderbare, sie kam zu Cranach-Zeiten gerade auf, bei Dürer, bei Bellini, dass Personen aus unterschiedlichen Zeiten miteinander über eine Sache ins Gespräch kommen, die größer ist als sie und die einen weiteren Bogen schlägt über die Zeiten und räumlichen Grenzen hinaus. Und da hatte ich die Idee, das könnte man eben auch weiten. Ob Dietrich Bonhoeffer auf dieses Bild kommen könnte, das war eine Anfrage der Domgemeinde. Und ich habe sofort gesagt, ja, was denn sonst? Denn für mich sind Heilige nicht zuerst Verkörperungen von abstrakten Idealen. Und sie sind nicht in erster Linie nur die Erlösten im Paradies, sondern es sind Menschen, die ja oft genug widersprüchliche Leben gelebt haben, vielleicht sogar gerade oft genug in Anfechtungen waren. Und die aber durch ihre Haltung, durch ihre Tätigkeit und durch ihr Gehen quasi in Imitatio Christi bis in den Tod wie Dietrich Bonhoeffer uns Vorbild sein können. Und das war für mich die Idee, die Heiligen um Maria und das Christuskind sich scharen zu lassen - und sie so menschlich wie irgend möglich wiederzugeben.

Michael Triegel, Römischer Bettler, 2018. Foto: Galerie Schwind, Leipzig
Michael Triegel, Römischer Bettler, 2018. Foto: Galerie Schwind, Leipzig

Den Heiligen Petrus haben Sie nach dem Vorbild eines deutschen Bettlers in Rom gemalt, der im Camposanto begraben ist, nachdem er unter tragischen Umständen vor drei Jahren am Rande des Petersplatzes verstorben ist. Sie haben ihn 2018 gesehen und porträtiert damals. Sie sagen, Sie können nichts malen, was nicht mit Ihnen zu tun hat. Also Burkhard Scheffler, so der Name des Bettlers, was hat der gemacht mit Ihnen?

Triegel: Der hat ungeheuer was gemacht. Das war eine Begegnung von vielleicht 30 Minuten. Und so banal das vielleicht in der Erzählung klingt, die hat mich doch auch verändert. Ich hatte gerade die Feier meines 50. Geburtstags in Rom vorbereitet, alles organisiert, wahnsinnig viel Geld ausgegeben und bin dann durch Trastevere gelaufen und sah an der Schwelle einer Kirche diesen Mann sitzen, der bettelte. Und habe mein Portemonnaie gezückt, wollte ihm etwas geben und habe mich dabei ertappt, dass ich daran dachte, naja, jetzt kaufst du dir ein bisschen das schlechte Gewissen ab. Du hast gerade jetzt für deinen Geburtstag Unsummen ausgegeben, da sitzt dieser arme Mann, der nichts hat, jetzt gibst du dem was. Und holte mein Portemonnaie herraus - und in dem Moment schaute er mich an. Mit diesem wachen, ja auch etwas verschmitzten, vielleicht fröhlichen Augen, vielleicht auch weil ich mein Portemonnaie zückte... jedenfalls fand ich dieses Gesicht so bewegend, weil man ein ganzes Leben darin gespiegelt sah, wusste oder ahnte, dass dieses Leben nicht leicht war. Vielleicht war er nicht sehr viel älter als ich. Wie ich es jetzt erfahre, ist es so, vielleicht sieben, acht Jahre. Er sah wesentlich älter aus, und ich hatte das Gefühl, da hat jemand ein schweres Leben gelebt und hat trotzdem wache Augen.

„Das ist dein Petrus“

Und als ich ihn sah, habe ich gedacht, mein Gott, der sieht aus wie Petrus mit diesem Bart, graumeliert und mit diesen wachen Augen. Wenn du irgendwann einen Petrus für ein Bild brauchst, das ist dein Petrus. Und habe ihn eben gefragt, habe ihn auf Italienisch angesprochen, deshalb konnte ich gar nicht damals realisieren, welcher Nationalität er ist, ob er mir kurz Modell sitzen würde. Gab ihm ziemlich viel Geld und setzte mich neben ihn. Und das hat mit mir etwas gemacht, weil ich da gemerkt habe, wenn ich sonst jemandem, der um etwas bittet, etwas gebe, ist es immer ein Geben von oben nach unten. Es ist immer ein Gefälle da. Ein Gefälle sozialer, ökonomischer Art, aber natürlich auch ein räumliches Gefälle. Er sitzt meistens am Boden und ich stehe. Und eigentlich stehe ich ja nicht mal, sondern ich laufe vorbei, möglichst schnell. Habe mir jetzt für meinen Tag mein Gewissen beruhigt, kann mir auf die Schulter klopfen, eine gute Tat begangen zu haben. Und auf einmal sitze ich neben ihm. Und bin auf Augenhöhe, eigentlich sogar unter Augenhöhe, denn ich habe mich eine Stufe unter ihn gesetzt, um ihn in Untersicht zu porträtieren.

Burkhard Scheffler: Heiliger Petrus mit rotem Basecap
Burkhard Scheffler: Heiliger Petrus mit rotem Basecap

„Dieser Mann hat die Hoheit eines Kaisers, eines Papstes, einfach eines Menschen“

Untersicht, von unten nach oben - warum wollten Sie den Bettler so darstellen?

Triegel: Untersicht ist in der Kunstgeschichte eine, wenn man so will, Pathosformel, mit der Herrscher, Kaiser, Könige, Päpste gemalt worden sind, die den Betrachter ein wenig unter den Porträtierten stellt, sodass man zu diesem Porträtierten aufsehen muss. Etwas, was sonst auch sehr schnell genutzt wurde, um einzuschüchtern. Ich habe das dann in Leipzig umgesetzt, ein kleines Porträt gemalt. Für mich war das wichtig, um zu zeigen, dieser Mann hat die Hoheit eines Kaisers, eines Papstes, einfach eines Menschen. Ich muss ihm die Würde nicht geben, ich muss sie nur wahrnehmen und muss sie mit den Mitteln realisieren, die mir zur Verfügung stehen - in dem Fall mit sehr aufwendigen Mitteln, wie eben sonst die Heiligen und Könige gemalt worden sind: mit Lasuren, mit Unterzeichnungen, und jedes Haar des Bartes ist genauso wichtig wie alles andere auf dem Bild. Ich muss diesen Menschen in seiner Menschlichkeit darstellen. Ich glaube, dieses Porträt finde ich nach wie vor eines meiner gelungensten. Als dann tatsächlich ein Jahr später die Anfrage von Naumburg kam, ob ich diesen Altar male, und man mir erzählte, die beiden Patrone des Domes seien Peter und Paul, da war mir klar, ein jüdischer Rabbi, den ich in Jerusalem an der Klagemauer getroffen habe, der mich sehr beeindruckt hat und den ich gezeichnet habe, der ist der Paulus. Und dieser Mann in Rom, dieser Bettler, das ist mein Petrus.

 

Erst vor wenigen Wochen hat man im Camposanto Teutonico im Zug der Naumburger Leihgabe den Petrus auf Ihrem Altarbild identifiziert mit dem Obdachlosen Burkhard Scheffler, den man hier 2023 aus Barmherzigkeit beigesetzt hat, übrigens als ersten evangelischen Christen auf diesem Friedhof überhaupt. Und jetzt ist er als „Petrus“ auf Ihrem Altar, ganz nah an seinem Grab.

Triegel: Das muss ich echt sagen, das grenzt für mich geradezu ans Wunderbare. Ich konnte mir das kaum vorstellen, als man mir davon berichtete, und sagte, solch einen Zufall kann es doch nicht geben. Nicht nur, dass ihn jemand wiedererkennt, sondern dass nun dieses Retabel ein Steinwurf von seinem Grab entfernt ist und er quasi als Petrus auf dem Altar zu sehen ist und das Grab des Apostels ist keine 300 Meter entfernt. Also das kann beinahe für mich kein Zufall sein. Und wenn ich zugebe, dass innerhalb der letzten drei Jahre, wo ja sehr viel Streit um den Aufstellungsort gewesen ist, ich manchmal verzagt war und dachte, mein Gott, keiner spricht eigentlich mehr über unsere inhaltlichen Anliegen, die wir vermitteln und den Leuten zeigen wollten, immer geht es nur um denkmalpflegerische Belange - da habe ich jetzt das Gefühl, dass wenn nur dieser arme Mann, und man muss es so deutlich sagen, der hier in diesem reichen Europa verreckt ist in der Pandemiezeit, der erfroren ist, wenn seiner jetzt gedacht wird, wenn er einen Namen hat, wenn seiner erinnert wird, dann hat sich für mich eigentlich schon dieses ganze Naumburger Projekt gerechtfertigt. Wenn dann noch dazu kommt, dass man quasi in ökumenischer Eintracht sich um dieses Retabel versammelt, ist auch diese Idee, die wir verfolgten, eigentlich jetzt begründbar. Und zwar vielleicht besser, wie wenn es ohne Streit in Naumburg stehen geblieben wäre.

„Wenn seiner erinnert wird, dann hat sich für mich eigentlich schon dieses ganze Naumburger Projekt gerechtfertigt“

Wenn man den Streit um dieses Altarbild von außen betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, es geht nicht so sehr um denkmalpflegerische Belange, sondern darum, dass jemandem Ihre Form von Kunst nicht gefällt – diese alte Maltechnik, gepaart mit verunsichernder Modernität. Was ist für Sie der wirkliche Hintergrund dieses Streits?

Triegel: Ich glaube schon, dass es durchaus auch um meine Handschrift bei manchen ging. Man hätte vielleicht bei einer anderen Formensprache andere Kompromisse zumindest gesucht. Man hat aber, glaube ich, auch nicht erwartet, dass ein so enormer Widerstand gegen dieses Verdikt „das darf da nicht stehen“ kommt. Nicht nur in den Medien. Auch in der Gemeinde - in beiden Kirchen. Auf einmal gab es viele Leute, die extra deshalb nach Naumburg gefahren sind.

  (©Bertram Kober / Punctum)

Ihr Altarbild hat - wie jedes andere Altarbild - eine Funktion. Ist das aus Ihrer Sicht ein großer, vielleicht sogar an sich schon provokanter Gegensatz zu nicht-sakraler zeitgenössischer Kunst?

Triegel: Die vergangenen 150 Jahre Moderne waren notwendig mit ihren Brüchen und Befreiungen. Aber wir haben dabei verlernt, dass Kunst auch eine andere Funktion hat als eine rein ästhetische, eine andere Funktion, als einen Markt zu bedienen, von der ökonomischen Potenz des Käufers zu künden und vielleicht Hintergrund zu bilden für hippe Vernissagen. Dass Kunst und Kultur immer aus dem Kultus kam, sei es im alten Ägypten, im Griechenland, im Christentum, ist etwas, was wir weitestgehend verlernt haben. Unsere Kultur ist vom Geld und vom kapitalistischen Marktwesen geprägt. Also geht es in erster Linie, wenn man über zeitgenössische Kunst redet, darum, was hat es gekostet, welches Ranking nimmt er ein, auf welcher Messe ist er vertreten. Aber auf einmal braucht eine Gemeinde ein Zentrum, um das es sich versammelt und wo Gottesdienst gefeiert wird. Und da kollidieren natürlich auch Bedingungen des Denkmalschutzes.

„Aus diesem Grund halte ich es für absurd, wenn man einen Kirchenraum lediglich musealisiert“

Also Denkmalschutz beengt im Fall Naumburg den Kultus?

Triegel: Was uns das Ganze lehrt, ist, dass wir Kunst nicht nur brauchen quasi als ein Lebensmittel, das wir benutzen können, das wir im Gottesdienst benutzen können, in dem wir uns spiegeln, in dem wir das, was wir auf der Altarmensa feiern, oben nochmals dargestellt sehen. Wir können unsere eigenen Fragen hineinbringen, aber wir sehen auch, dass wir nicht das Zentrum sind; dass unsere Gegenwart nicht das Zentrum der Welt und das Zentrum der Zeit ist, sondern dass wir immer auch in Bezug stehen zur Geschichte. Aus diesem Grund halte ich es für absurd, wenn man einen Kirchenraum lediglich musealisiert. Es ist der falsche Weg. Wir können ja auch die barockisierten Kirchen in Bayern nicht in ihren Urzustand zurückversetzen, Gottlob nicht. Jede gesunde Zeit bringt das Ihre hinzu und lagert etwas an das Vorhandene an und setzt sich damit auseinander. Das ist ja auch die Intention meiner Arbeit - dass wir nicht unkritisch mit der Vergangenheit umgehen, sondern Hohlformen als solche erkennen. Aber es gibt Dinge, die gerade, weil sie vergessen sind, uns überraschen können und neu wahrgenommen werden können. Es ist ein Missverständnis, etwas Altes lediglich zu musealisieren, zu mumifizieren und es sich nicht anzueignen.

Das Triegel-Porträt von Papst Benedikt XVI.

Sie haben 2010 Papst Benedikt XVI. porträtiert, auch das ein Auftragswerk. Einige bemängeln, das Porträt sehe dem Papst erstens nicht ähnlich und sei zweitens respektlos, weil der Schultermantel hinten eine Falte bildet, das sei ein Bild der Unsouveränität. Finden Sie, dass die Frage Ähnlichkeit oder Nicht-Ähnlichkeit ein Qualitätskriterium ist bei einem Porträt? Und was sagen Sie heute, mit 15 Jahren Abstand, zu Ihrem Porträt von Benedikt?

Triegel: Das ist schwierig. Ich finde ja schon, dass es ihm ähnlich sieht. Es sieht ihm vor allem ähnlich so, wie ich ihn erlebt habe. Und natürlich, wir wissen das von uns selbst, an jedem Tag sieht man irgendwie anders aus. Und dann ist dieses Bild kein Bild, wie man den Papst von offiziellen Postkarten kennt. Viele, die das bewerten, kennen ihn von Aufnahmen, von Fernsehauftritten, aus einer Distanz. Ich hatte ihn so erlebt. Und vielleicht habe ich auch mein Erlebnis mit ihm in dieses Bild hineingemalt. Das war auch ein Erlebnis, in gewisser Weise, von Alleinsein. Ich war bei einer Generalaudienz, hatte da zwei Stunden Zeit, in der ersten Reihe zu sitzen, ihm dann noch zu begegnen. Ich hatte aber das Gefühl, nicht einmal zehn Prozent derer, die mit mir da waren, hörten zu, was er sprach. So hatte ich für ihn ein Gefühl des Alleinseins: dieser Mann, der seine Bücher schreiben wollte und auf einmal, ich sage es, auch wenn es despektierlich klingt, diesen Zirkus mitmachen muss. Dieser Intellektuelle, der nachdenken wollte, der lesen wollte, der uns noch etwas zu sagen hatte. Und der empfangen wurde wie ein Popstar. Was, glaube ich, nicht seiner Natur entsprach.

„Und diese Ambivalenz wollte ich auch malen“

 

Und diese Ambivalenz wollte ich auch malen. Dass zum Beispiel die Soutane leicht hochrutschen, dass sich eine Falte ergibt, das war tatsächlich so. Ich hätte es natürlich glätten können. Aber ich habe es bewusst so gelassen, weil ich mir damals sagte, ich will nicht das Amt malen, sondern ich will die Person malen. Ein Teil der Person ist dieses Amt, das ihm zugefallen ist, das ihm gegeben wurde und das, wie ich fand, er auch großartig ausfüllte. Aber es ist ein Amt, das ungeheuer schwer ist. Und er bleibt ein Mensch. Manche haben mir vorgeworfen, ich hätte nicht die jugendliche Frische seiner Heiligkeit dargestellt - mit 84, in Klammern. Genau darum ging es mir ja: zu zeigen, es ist ein Mensch. Es ist kein Übermensch tatsächlich, einer, der scheu ist, der uns nicht frontal anguckt, der nicht diesen Weltumarmungsgestus wie Johannes Paul II. hat, der auch der nachdenkende, kritische Intellektuelle ist. Das wollte ich akzentuieren. Dass ich ihn heute vielleicht anders malen würde, ist klar, weil natürlich auch ich jemand anders geworden bin. Und ich mich vielleicht auch anders mit ihm als Person, mit ihm als Theologen auseinandergesetzt habe.

Der ökumenische Wunsch des emeritierten Papstes 

Papst Benedikt, der zu Silvester 2022 gestorben ist, wusste von Ihrem Naumburger Altar?

Triegel: Für mich war es ungeheuer berührend, dass Papst Benedikt mir nicht nur zur Taufe gratulierte und ab und zu ein kleines Büchlein mit Widmung schickte, sondern dass er mir auch einen kleinen Brief zu diesem Naumburger Altar schrieb. Er schrieb mir, dass er mich in die Gebete einschließt, den apostolischen Segen gibt, diesem Projekt. Und er schrieb, dass er meine Bemühungen, die Wunden, die das 16. Jahrhundert geschlagen hätte, zu heilen, nur unterstützen kann. Das könne mir aber nicht allein gelingen - wir sind alle dazu aufgerufen. Das schrieb er mir in der Zeit, als ich gerade mitten in der Arbeit war. Und als dann dieser Streit aufbrandete, war das für mich durchaus ein Schmerz, weil ich dachte, mein Gott, Benedikt - der mittlerweile gestorben war, ich war damals auch zu seinem Requiem in Rom - wollte das doch auch, er hat dafür gebetet, er wollte doch, dass diese Wunden geheilt werden. Und auf einmal ist das verunmöglicht. Aber dieser Tage merke ich genau das eben nicht. Auf einmal ist dieses Werk, ist vielleicht sogar dieser Streit zur Möglichkeit geworden einer Heilung, einer Annäherung, einer Begegnung. Insofern ist das für mich auch ein großes Geschenk, wenn ich an ihn denke, das Bild jetzt hier zu sehen in der Kirche, von der ich weiß, dass er da oft die Messe gefeiert hat.

„Auf einmal ist dieses Werk, ist vielleicht sogar dieser Streit zur Möglichkeit geworden einer Heilung, einer Annäherung, einer Begegnung.“

Sie haben Ihr Altarbild für den Naumburger Dom 2022 vollendet und übergeben. Damit endet sozusagen Ihre Vaterschaft - Sie können die Geschichte Ihres Retabels nicht bestimmen, wie bei einem Kind, das erwachsen wird und das Haus verlässt. Sie können sich aber etwas für Ihr Kind wünschen. Was wünschen Sie sich für Ihr Altarbild?

Triegel: Ich wünsche mir viele Menschen, die es sehen mögen, jetzt hier in Rom, die unvoreingenommen sich einfach den Geschichten, die ich glaube erzählen zu können, aussetzen. Vielleicht auch sich über die Ästhetik, über die Art der Malerei zu nähern, in die Gesichter zu blicken. Ich wünsche mir Gespräche darüber, denn das, was ein Künstler macht, ist eigentlich immer nur ein Gesprächsangebot. Ich habe ja keine Botschaften zu verkünden, sondern habe ja nur meine eigenen Fragen anderen Menschen vorzulegen, die vielleicht eigene Antworten finden können, auf die ich selbst nie gekommen wäre. Und natürlich wünsche ich mir, dass dieses Retabel wieder in den Naumburger Westchor des Domes zurückkehren wird. Keine Frage.

Die Erzbruderschaft zur schmerzhaften Muttergottes am Campo Santo Teutonico, Eigentümerin des deutschen Friedhofs hinter Vatikanmauern, hat die Anfrage des Naumburger Domkapitels über eine zweijährige Leihgabe des Cranach-Triegel-Altars sofort positiv beschieden und drei Monate intensiv an der Übersiedlung gearbeitet. Im Naumburger Dom musste das Retabel aus Denkmalschutzgründen abgebaut werden. 

Das Altarbild ist am Camposanto Teutonico von Montag bis Samstag 7 bis 13 Uhr zu sehen. 

(vatican news - gs)

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03. November 2025, 10:16