Vatikan: Gastfreundschaft für ein Altarbild aus Ostdeutschland
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Im evangelischen Naumburger Dom in Ostdeutschland musste das Marien-Retabel kürzlich abgebaut werden. Aufgrund seiner Größe gefährde der Flügelaltar den Status der Kirche als UNESCO-Welterbe, hieß es zur Begründung. Er besteht aus alten und neuen Tafeln: Der Leipziger Künstler Michael Triegel (Jahrgang 1968) vervollständigte das im 16. Jahrhundert von Lucas Cranach geschaffene und in der Reformation teils zerstörte Altarbild mit zeitgenössischen Darstellungen der Muttergottes mit Jesuskind, Heiligen und musizierenden Engeln. Die Rückseite zeigt einen monumentalen auferstandenen Christus.
„Ein Zeichen der Ökumene"
„Es ist ein Zeichen der Ökumene, dass wir mit dem Evangelischen Dom und der Propstei-Gemeinde in Naumburg diese Verbindung schaffen und dass wir uns gegenseitig sozusagen Gastfreundschaft gewähren“, sagte Rektor Peter Klasvogt am Freitag gegenüber Vatican News. Auch der Kämmerer der Erzbruderschaft zur Schmerzhaften Muttergottes Franco Reale spricht von einer „schon immer hier praktizierten Gastfreundschaft, die wir haben, und das ist für mich ein überwältigendes Ereignis, diese Gastfreundschaft nach außen hin zu zeigen, gerade auch in ökumenischer Verbundenheit.“ Der Erzbruderschaft gehört das Gelände des Camposanto Teutonico.
Der Cranach-Triegel-Altar steht mit geöffneten Flügeln hinten im Mittelschiff der Bruderschaftskirche und damit genau gegenüber dem angestammten Retabel der Kirche, das eine Beweinung Christi und damit ebenfalls ein Marienmotiv zeigt. Triegel gibt eine „heilige Unterhaltung“ wieder, also eine Muttergottes, die den neugeborenen Jesus der Welt präsentiert und dabei von Heiligen flankiert wird. Die Gegenüberstellung längs durch den Kirchenraum ermöglicht gleichsam einen Dialog der Altarbilder: „Zwischen diesen beiden Marien und zwischen Geburt und Tod findet die ganze Lebensgeschichte statt“, erläuterte der Rektor den theologischen Bezug.
Unter den Heiligen: der evangelische Theologe Bonhoeffer
Triegels Altarbild selbst weist eine klare ökumenische Dimension auf. Der von den Nationalsozialisten hingerichtete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer ist einer der zehn Heiligen, die hinter der thronenden Maria mit Kind stehen. Als heiligen Paulus zeigt Triegel einen Jerusalemer Rabbiner mit schwarzem Hut.
Modell für Petrus: Ein deutscher Bettler in Rom
Modell für den heiligen Petrus hingegen war der deutsche Obdachlose Burkhard Scheffler, der im November 2022 am Rand des Petersplatzes starb. Er ist im Camposanto begraben, wo die Erzbruderschaft ihn in der Pilgergruft beisetzte. Scheffler war evangelisch getauft. Triegel porträtierte ihn 2018 in Rom und fügte ihn später in sein Altarbild ein, an dem er 2020 bis 2022 arbeitete. Erst im Zug der Leihgabe aus Naumburg wurde im Camposanto der „Petrus“ auf Triegels Altarbild als jener Bettler identifiziert, der hier seine letzte Ruhe fand. Das Altarbild, das den Obdachlosen aus dem Ruhrgebiet mit rotem Basecap als ersten Papst zeigt, steht nur wenige Meter von Schefflers Grabstatt.
Das Cranach-Triegel-Retabel aus dem evangelischen Dom in Naumburg ist als Leihgabe für zwei Jahre im Vatikan zu sehen. In der Zwischenzeit wird in Naumburg die Debatte um eine Neuaufstellung fortgeführt. Am Sonntag, dem Allerseelentag, findet im Camposanto Teutonico eine Feierstunde statt, bei der das 500 Jahre Kunst- und Kirchengeschichte überspannende Altarbild erstmals für eine größere Öffentlichkeit in Rom zu sehen ist.
Öffnungszeiten des Camposanto Teutonico für Besucher: Montag bis Samstag, 7 bis 13 Uhr.
(vatican news – gs)
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