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Demonstration für Frieden zwischen Russland und der Ukraine Demonstration für Frieden zwischen Russland und der Ukraine 

Kardinal Hollerich: Wir müssen uns solidarisch zeigen

Der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Jean Claude Hollerich, fordert von der deutschen Regierung stärkere Anstrengungen, um der bedrängten Ukraine beizustehen - auch was Waffenlieferungen betrifft. „Ich glaube, Deutschland sollte alles tun, wenn ein Land in seiner Nähe angegriffen wird, damit Leute sich verteidigen können. Sonst werden Leute abgeschlachtet", sagte er im Interview mit Radio Vatikan.

Stefanie Stahlhofen - Florenz

Er verstehe sehr gut, „dass die internationale Gemeinschaft keine Soldaten entsenden kann, denn das wäre der Beginn eines Weltkriegs“, so Hollerich gegenüber Radio Vatikan. Hilfe zur Selbstverteidigung der Ukraine zu leisten, schließt der Luxemburger Kardinal aber nicht aus. Und er plädiert für Wirtschafts-Sanktionen:

„Die wirtschaftlichen Maßnahmen, die wir ergreifen können, sind weitreichend, und ich denke, dass wir nicht zögern dürfen, sie zu ergreifen, auch wenn sie uns selbst betreffen. Denn im Vergleich zu dem, was die Menschen in der Ukraine erleiden, sind die Auswirkungen auf uns gering. Wir müssen also auch bereit sein, Maßnahmen zu ergreifen, die auch uns selbst schaden, um dieses Massaker zu beenden.“

Kardinal Jean Claude Hollerich äußerte sich am Samstagabend nach der Konferenz „Friedensgrenze Mittelmeer". Dazu sind seit Mittwoch gut 60 Bischöfe und Bürgermeister aus Mittelmeerländern in Florenz, der Hauptstadt der Toskana.

Interview

Kardinal Jean Claude Hollerich: Wir sind hier in Florenz, um zu schauen, wie eine friedliche Entwicklung, die zu einem größeren Wohlstand, zu Frieden führt, bewerkstelligt werden kann.

Radio Vatikan: Die Bischöfe haben mit Blick auf den Krieg in Osteuropa einen starken Friedensappell lanciert. Sie haben auch eine Charta unterzeichnet, die Charta von Florenz. Was kann die bewirken in der jetzigen Situation?

Kardinal Jean Claude Hollerich im Interview mit Stefanie Stahlhofen von Radio Vatikan
Kardinal Jean Claude Hollerich im Interview mit Stefanie Stahlhofen von Radio Vatikan

„Man kann Krieg machen, Leute töten, um Macht zu haben. Gewinnen wird man dabei nichts“

Kardinal Jean Claude Hollerich: Ich glaube, dass die Charta von Florenz ein prophetisches Zeichen ist. Sie zeigt, wie man es machen kann, um Frieden herzustellen, um Friedensarbeit zu leisten, um Wohlstand zu fördern, um die Jugend zu fördern, damit die Jugend Chancen, Perspektiven hat. All das ist ein großes Zeichen angesichts der anderen Wendung, die die Dinge genommen haben. Da kann man Krieg führen, Leute töten, um Macht zu haben. Gewinnen wird man dabei nichts, und vor allem die Leute werden nichts gewinnen. Die einfachen Leute.

Radio Vatikan: Die Lage zwischen der Ukraine und Russland ist immer noch extrem angespannt. Es wird überlegt, unter Umständen aus Deutschland Waffenlieferungen zu unterstützen. Wie stehen Sie dazu?

Einen Weltkrieg will niemand

Kardinal Jean Claude Hollerich: Ich glaube, Deutschland sollte alles tun, wenn ein Land in seiner Nähe angegriffen wird, damit Leute sich verteidigen können. Sonst werden Leute abgeschlachtet. Wir wissen ja, was Krieg ist. Krieg ist nicht Schönes. Kriege sind keine Kavalier-Scharmützel. Da werden Leute getötet, da wird bombardiert. Kinder sind gestorben. Das tut mir im Herzen weh, dass das geschieht und dass das mitten in Europa geschieht. Und die Aggressoren müssen verstehen, dass die Europäische Union solidarisch ist mit der Ukraine, auch wenn wir nicht militärisch beistehen können. Das könnte ja einen Weltkrieg provozieren, das will niemand. Aber die Leute haben ein Recht, sich gegen den Aggressor zu wehren.

„Das tut mir im Herzen weh, dass das geschieht und dass das mitten in Europa geschieht“

Und auch alle finanziellen Mittel sollten genutzt werden, um Druck auf den Aggressor zu machen. Auch wenn das bedeutet, dass wir in der Europäischen Union den Riemen etwas enger schnallen müssen. Das Leben ist immer wichtiger als das, was wir haben.

Kiew nach einem russischen Angriff am Samstag
Kiew nach einem russischen Angriff am Samstag

Radio Vatikan: Wie groß sind die Chancen, dass es vielleicht doch noch Verhandlungen gibt, eine friedliche Lösung? 

„Als Bischof bin ich ein Mann der Hoffnung“

Kardinal Jean Claude Hollerich: Als Bischof bin ich ein Mann der Hoffnung. Das heißt, wir müssen gegen alle Zeichen, die in die gegenseitige Richtung zeigen, immer hoffen, dass Menschen Einsicht haben können und dass Machtgelüste nicht so groß sind, dass man alles dafür in Kauf nimmt.

Radio Vatikan: Hat die COMECE sich auch schon überlegt, konkret zu helfen?

Flüchtlinge aufnehmen - auch von außerhalb der EU

Kardinal Jean Claude Hollerich: Die Bischofskonferenzen sind ja die Akteure, da habe ich gar keinen Zweifel, dass die helfen werden. Und es ist klar, dass die meisten Flüchtlinge in die Nachbarländer gehen, und zwar die römisch-katholischen Ukrainer wohl eher nach Litauen, die anderen eher griechisch-katholischen in die Slowakei und so weiter. Die Orthodoxen auch in andere Länder. Wir müssen diesen Kirchen helfen, sowohl den katholischen als auch den anderen.

Wir müssen uns solidarisch zeigen. Der Westen muss helfen, dass dieser Strom von Flüchtlingen, dass die Hilfe gestemmt werden kann. Unser Außenminister in Luxemburg hat schon gesagt, dass Luxemburg Flüchtlinge aufnehmen würde. Selbstverständlich. Gleichzeitig müssen wir aber auch andere Flüchtlinge aufnehmen, denn es wäre schon ein komisches Zeichen von universeller Geschwisterlichkeit, wenn wir europäische Flüchtlinge aufnehmen und andere ablehnen.

Ukrainische Verteidiger in Mariupol
Ukrainische Verteidiger in Mariupol

„Es wäre schon ein komisches Zeichen von universeller Geschwisterlichkeit, wenn wir europäische Flüchtlinge aufnehmen und andere ablehnen“

Radio Vatikan: Papst Franziskus hat auch immer wieder zum Frieden aufgerufen. Sie haben es jetzt auch noch mal hier bei dem Treffen von Florenz. Aber es sieht nicht so aus, als würde sich die Lage verbessern. Ist es nicht so, dass immer viel geredet wird, und das stößt sowieso auf taube Ohren?

Kardinal Jean Claude Hollerich: Das mag sein, aber trotzdem muss geredet werden. Die Kirche muss sich für den Frieden einsetzen. Das gehört zu unserer Berufung. Man spricht ja viel von christlichen Werten und auch von europäischen Werten. Der Frieden ist sicher der größte Wert, und das Leben ist der größte Wert. In Frieden, in Würde leben können. Das streben alle Menschen an. Ohne dies ist kein Glück möglich. Und Gott liebt alle Menschen. Gott möchte, dass es allen Menschen gut geht, und wir müssen uns dafür einsetzen. Ob das Erfolg hat oder nicht, ob es gelegen kommt oder nicht, ist dabei eine Nebensache, glaube ich.

Radio Vatikan: Es stellt sich in solchen Situationen aber auch immer die Frage: Warum lässt Gott das zu?

„Gott ist auf der Seite des Friedens. Gott ist nie auf der Seite von Tod, Verwüstung und Krieg“

Kardinal Jean Claude Hollerich: Die Frage stellt sich. Wir sind vielleicht zu verwöhnt gewesen in Europa. Es ging uns sehr gut. Wir wurden reicher. Wir sind auch sozusagen gefangen in einer Konsumgesellschaft. Und wir haben vergessen, dass das Leben hart ist. Gott lässt sehr vieles zu. Aber er hat den Menschen ausgestattet mit Fähigkeiten zu helfen, mit Fähigkeiten am Frieden zu arbeiten. Und Gott ist auf der Seite des Friedens. Gott ist nie auf der Seite von Tod, Verwüstung und Krieg.

Protest in Russland darf nicht verstummen

Kardinal Jean Claude Hollerich äußerte sich gegenüber Radio Vatikan auch zum Dissens von Teilen der Zivilbevölkerung in Russland gegen Putins Krieg. Journalisten und Intellektuelle, Ärzte und Bedienstete im Gesundheitswesen hatten in den letzten Stunden ihre Ablehnung des Krieges öffentlich bekundet, auch gab es trotz eines Verbotes in verschiedenen russischen Städten Demonstrationen, bei denen hunderte Menschen verhaftet wurden.

Er habe im Fernsehen gesehen, „dass vor allem die jungen Leute den Krieg nicht wollen“, so Kardinal Hollerich. Er hoffe darauf, dass die Ablehnung des Krieges in Russland nicht verstumme, machte der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE deutlich: „Ich denke, auch wenn es sehr gefährlich ist, weil man riskiert, verhaftet zu werden, muss man [den Dissens, Anm. d. Red.] in verschiedenen Formen zeigen, vielleicht nicht in den gefährlichsten, aber mit Fantasie, mit Vorstellungskraft, kann man Wege finden, zu sagen, dass ich nicht einverstanden bin, und man muss es tun.“

 

(vatican news -sst/pr) 

 

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27. Februar 2022, 09:29