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Vertreter der Allianz der drei Sahel-Staaten am Donnerstag in der malischen Hauptstadt Bamako Vertreter der Allianz der drei Sahel-Staaten am Donnerstag in der malischen Hauptstadt Bamako  (ANSA)

Neue Bruchlinien quer durch Westafrika

Die Ankündigung kam aus heiterem Himmel: Vergangenen Sonntag erklärten Mali, Burkina Faso und Niger, das sie die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) verlassen. Unser Interview mit einem Experten aus Abidjan.

Myriam Sandouno und Stefan v. Kempis – Vatikanstadt

Die drei Länder eint, dass sich in ihnen seit 2020 das Militär an die Macht geputscht hat und dass sie deshalb von den ECOWAS-Gremien suspendiert sind. Im Fall von Mali und Niger – nicht Burkina Faso – kommen noch harte Wirtschaftssanktionen hinzu. Im September letzten Jahres haben sich die drei Länder zu einer „Allianz der Sahel-Staaten“ (AES) zusammengeschlossen, in erster Linie um gegen dschihadistische Gruppen zu kämpfen. Die sind seit Jahren ein großes Problem für die drei Länder; seit 2015 haben beispielsweise in Burkina Faso tausende Menschen ihr Leben verloren, sowohl Zivilisten als auch Soldaten. Die Gewalt zwang rund zwei Millionen Menschen zur Flucht.

Ein Schock für die ganze Region

Ihr Austritt aus der ECOWAS sei „wohlüberlegt“, so die drei Putsch-Regierungen; der Staatenbund habe sich von seinen Gründeridealen und vom Panafrikanismus wegbewegt, habe sich auch zu sehr von ausländischen Mächten abhängig gemacht – eine Bemerkung, die wohl vor allem auf den alten Kolonialherren Frankreich zielt. Der Bruch der drei Länder mit ihren Nachbarn hat in der ganzen Region einen Schock ausgelöst: Die „Afrikanische Union“ äußert „tiefes Bedauern“, Europa fürchtet neue Flüchlingsströme, die ECOWAS bietet Verhandlungen an.

Pater Arsène Brice Bado leitet an der Jesuitenuniversität Abidjan ein Zentrum für Friedensforschung. Der Dozent für Politikwissenschaft und internationale Beziehungen gehört zu den wenigen, die den Bruch schon seit langem kommen sahen. Aus seiner Sicht stellt sich die Allianz der Sahelstaaten „als eine Art Alternative zur ECOWAS auf“. Der Austritt habe Folgen für ECOWAS.

„Wird man jetzt wieder Visa einführen?“

„Folgen zeigen sich bei all den Dingen, die die ECOWAS bereits erreicht hatte, wie der freie Personen- und Warenverkehr, ein gemeinsamer ECOWAS-Pass und mehr oder weniger harmonisierte Zolltarife. Es gibt da immerhin eine gewisse wirtschaftliche Integration. Es gibt auch große Straßenprojekte, die die ECOWAS-Länder miteinander verbinden. Einige wurden bereits realisiert, andere sind in Arbeit. Und was man auch nicht vergessen darf, ist, dass die Bevölkerungen in Westafrika ziemlich verflochten sind. Das heißt, es gibt viele Menschen aus Burkina, Mali, Niger in den anderen ECOWAS-Ländern. Auch in Mali, Burkina Faso und Niger gibt es Bevölkerungsgruppen aus anderen ECOWAS-Ländern.“ Dies sei ein sehr wichtiges Element, das man jetzt berücksichtigen müsse, so der Jesuit. Er fragt sich, ob man wieder Visa einführen und Aufenthaltspapiere verlangen wird; falls das so komme, werde das wohl den sozialen Zusammenhalt der Bevölkerung weiter schwächen.

Unter einem Bruch würden alle Staaten der Region leiden

„Die ECOWAS wird ebenfalls geschwächt, das muss man auch sehen. Wenn Sie sich die Karte ansehen, werden Sie feststellen, dass die ECOWAS diese drei Sahel-Länder braucht. Genauso wie die drei Sahel-Länder auch die übrigen ECOWAS-Länder brauchen. Sehen Sie sich die Sanktionen an, die zum Beispiel gegen Niger verhängt wurden. Niger nutzte zu fast 80 Prozent den Hafen von Cotonou in Benin. Wenn Sie Schiffen verbieten, bestimmte Häfen anzulaufen, gibt es auch für diese Länder einen erheblichen Gewinnausfall. Man muss das also auf beiden Seiten sehen; es gibt da wirklich ein Problem, und Benin leidet längst darunter. Auch die Elfenbeinküste könnte darunter leiden und viele andere, denn Burkina, Mali, nutzen ein wenig ihre Häfen; der Senegal auch. Die Konfiguration Westafrikas ist nun mal so, dass Sanktionen oder ein solcher Bruch alle leiden lassen, nicht nur eine Seite.“

Neue Bruchlinien in Westafrika - eine Analyse von Radio Vatikan

Die drei Sahel-Staaten klagen die ECOWAS an, dass sie in der Hand von ausländischen Mächten sei. Pater Arsène Brice Bado sagt dazu, die Lage sei „viel komplexer“, doch müsse man das Argument von Mali, Niger und Burkina Faso ernstnehmen. Solche Vorwürfe würden der ECOWAS oft gemacht, und nicht ganz grundlos. „In der Zeit, als ECOWAS über Sanktionen beriet, gab es einige ausländische Mächte, die schon vorher Sanktionen verhängten und sagten, dass auch die ECOWAS das tun werde. Und so kam es dann tatsächlich, als sich die ECOWAS traf und über das Thema entschied. Sie ist also wirklich von ausländischen Kräften durchsetzt. Das muss man zugeben.“

Der Vorwurf ist etwas billig - aber nicht falsch...

Der Jesuit findet, dass die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft die neue Lage nutzen sollte, um sich anders zu organisieren. Die Bevölkerungen in ihren Staaten legten großen Wert auf „eine Art Souveränität“, darauf solle man eingehen. Es liege auch an den Mitgliedsstaaten der ECOWAS, dafür zu sorgen, dass die Gemeinschaft etwa ausreichend finanziert sei – so müsse man sich nicht an externe Akteure wenden, die dann natürlich auch die Richtung vorgäben. Der Vorwurf, den die drei Sahel-Staaten der ECOWAS machten, was ausländischen Einfluss betrifft, sei allerdings etwas billig.

„Denn eigentlich sind alle afrikanischen Organisationen wirklich schwach: Die Außenwelt greift viel ein, es ist wirklich ein völlig von außen abhängiger Kontinent, bis hin zur Währung und vielen anderen Dingen. Diese Problematik bestand also bereits. Das ist nicht nur ein Problem der ECOWAS. Hinter diesem Argument steckt denn auch etwas anderes: Ich glaube, dass er wohl auf Frankreich abzielt, wenn man bedenkt, dass diese drei Länder mit Frankreich gebrochen haben.“

„Ein bisschen viel auf einmal“

Der Friedensforscher glaubt, dass Mali, Niger und Burkina Faso jetzt darangehen werden, eine eigene Währung einzuführen und vielleicht werden die Grundlagen für eine Wirtschafts- und Währungsunion ihrer Staaten zu legen. „Der Austritt aus der ECOWAS war nur ein Schritt“, davon ist er überzeugt.

„Ich habe das Gefühl, dass diese Länder alles auf den Prüfstand stellen und noch einmal von vorne anfangen wollen. Und das ist wirklich schwierig. Es ist ein sehr starker Schock, und ich bin mir nicht sicher, ob diese Länder diesen Schock verkraften können, neu anzufangen und alles neu zu erfinden. Man hätte eher langfristig über eine Reihe von Reformen verhandeln sollen, aber das ist meiner Meinung nach ein bisschen viel auf einmal.“

Der Jesuit hat da den, wie er sagt, „Fall Mauretanien“ im Hinterkopf. „Wussten Sie, dass Mauretanien im Jahr 2000 die Tür der ECOWAS zugeschlagen hat? Aber 2017 kam es dann wieder zurück und beantragte die Mitgliedschaft, und jetzt ist es ein assoziiertes Mitglied, genießt also eine Reihe von Vorteilen, ist aber nicht Vollmitglied. Eine Lösung in diesem Stil für die drei Sahel-Staaten wäre bereits ein Gewinn. Angesichts der geografischen Konfiguration unserer Länder muss unbedingt verhandelt werden!“

Ein Kalter Krieg in Westafrika

Die geostrategische Landschaft Westafrikas sieht Pater Arsène Brice Bado in einem starken Umbruch. Er hat den Eindruck, dass in der Region ein Kalter Krieg in vollem Gange sei.

„Es ist nicht nur Frankreich, das interveniert; wir haben vor kurzem eine Tour von Antony Blinken, dem US-Außenminister, gesehen. Es gibt die Russen, die da sind, es gibt die Chinesen; jeder besucht Westafrika... Die drei Sahel-Staaten wenden sich derzeit Russland zu, was die westlichen Länder ärgert. Blinken sagte, man müsse sich entscheiden. Also werden diese Länder von der Konkurrenz der Großmächte durchzogen. Leider bin ich der Meinung, dass diese Großmächte auch Teil des Problems sind, nicht unbedingt Teil der Lösung. Denn ihre Aktionen und ihr Wettbewerb untereinander wird auf dem Rücken unserer Länder ausgetragen. Es gibt eine gewisse Ethik der internationalen Beziehungen, die wiederentdeckt werden muss, um diese ausländischen Mächte dazu zu bringen, sich nicht so sehr in diese Länder einzumischen, dass sie ihnen fast ihre Souveränität nehmen.“

„Die Großmächte haben keine sauberen Hände“

Selbst die Hilfe von außen sei so stark an Bedingungen geknüpft, dass die Länder in Westafrika nicht mehr wirklich unabhängig wirkten. Und das sei Wasser auf die Mühlen der Putschisten, die von nationaler Souveränität sprechen werden.

„Diese Putschisten haben nicht unrecht, denn gerade die Großmächte haben keine sauberen Hände. Ich denke, wir sollten all dies überdenken, damit es mehr Frieden geben kann. Wir können uns nicht damit begnügen, nur die Länder zu beschuldigen, die geputscht haben. Das Problem ist ein geteiltes Problem. Diese Länder sind nicht immer Teil der Lösung…“

(vatican news)
 

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02. Februar 2024, 10:47