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P. Jarosław Krawiec OP in der Ukraine P. Jarosław Krawiec OP in der Ukraine 

Dominikaner in Kyiv: Krieg schärft unseren Blick für das Wesentliche

Durch das Kreuz des Todes führt der Weg zur Auferstehung der Ukraine. Das sagte am Ostersonntag der Dominikaner-Vikar in dem Land, P. Jaroslaw Krawiec. Es seien allerdings gerade diese Festtage, die den Ukrainern vor Augen führten, wie groß die Macht der menschlichen Solidarität und Barmherzigkeit sei: „Die Hilfe, die oft unter Lebensgefahr geleistet wird, stellt das wieder her, was der Krieg zu nehmen versucht, nämlich die Menschenwürde“, so der Pole in unserem Interview.

Beata Zajączkowska und Christine Seuss – Vatikanstadt

„Um zum Auferstehungssonntag zu gelangen, muss man in der Tat zuerst durch das österliche Triduum gehen, durch den Karfreitag, durch die Leere des Karsamstags. Und wenn wir Ostern in der Ukraine erleben, dann gibt es natürlich in uns Gläubigen die echte, lebendige Freude, dass der Herr auferstanden ist, dass er den Tod und die Sünde besiegt hat. Aber es gibt auch eine tiefe Erinnerung an seine Passion, an sein Leiden, an das Unrecht, das an Jesus Christus begangen wurde. Und diese Erinnerung beruht auf der Erfahrung des menschlichen Leidens, des ungerechten Todes, der Lüge, der Gewalt, der Zerstörung, all dessen, was der Krieg schon gebracht hat und leider auch jeden Tag bringt“, so P. Jarosław Krawiec, der in der Ukraine als Provinzial-Vikar der Dominikaner wirkt und auch nach dem Kriegsausbruch stets an der Seite der Gläubigen geblieben ist. Dabei nimmt er eine zentrale Rolle bei der Koordination der Hilfen seitens der Dominikaner ein.

Unermüdlich leistet der Dominikaner Hilfe in der Ukraine
Unermüdlich leistet der Dominikaner Hilfe in der Ukraine

Das dritte Kriegs-Ostern

Mittlerweile erlebten die Menschen schon das dritte Kriegs-Ostern, fielen die ersten Raketen am 24. Februar 2022 doch fast zu Beginn der Fastenzeit. Nur wenige Wochen zuvor hatten die Bischöfe der römisch-katholischen Kirche in der Ukraine das kommende Jahr zum „Jahr des Heiligen Kreuzes erklärt“, erinnert der Ordensmann: „Dies war meiner Meinung nach eine äußerst prophetische Entscheidung, denn mit dem Beginn des Krieges standen wir als ukrainisches Volk, alle Gläubigen, wirklich unter dem Kreuz Christi. Wir berührten das Kreuz des Leidens, das Kreuz des Todes unschuldiger Menschen, das Kreuz der Verlassenheit und der Wanderschaft. Heute blicken wir mit großem Schmerz auf das zurück, was vor drei Jahren geschah, weil wir verstehen, dass das, was damals begann, weitergeht.“

Caritas Ukraine
Caritas Ukraine

So viele unschuldige Opfer

So koste der Krieg jeden Tag unschuldige Menschen das Leben, auch Zivilisten, die bei den häufigen Raketen- und Bombenangriffen stürben, beklagt der Pole, der in der Ukraine wirkt. Krieg bedeute auch Flucht, Verlassenheit, und die Trennung von Familien. „Wir wissen, dass Weihnachten das Fest der Familie ist, und es tut mir sehr leid für all die ukrainischen Familien, die durch die Situation getrennt sind; für die Soldaten, die Ostern nicht gemeinsam mit ihren Kindern und Frauen, Müttern und Großeltern feiern können; für die Menschen, die am anderen Ende der Welt leben, weit weg von ihrer Heimat, und die auch all das vermissen, was mit unseren Ostertraditionen verbunden ist, den Gesang, die Liturgie. Es ist auch eine Zeit, in der uns bewusst wird, wie groß die Kraft der menschlichen Solidarität und Barmherzigkeit ist, wie dankbar wir all denen sind, die uns trotz der Zeit, trotz der Tatsache, dass immer weniger über den Krieg in der Ukraine gesprochen wird, nicht vergessen haben. Nach wie vor mangelt es nicht an Menschen, nach wie vor mangelt es nicht an Orten in der Ukraine, die materielle Unterstützung, humanitäre Hilfe dringend benötigen.“

Helfer riskieren ihr eigenes Leben

Viele Menschen hätten ihr Zuhause verloren, seien dank der Gastfreundschaft anderer Menschen oder in Flüchtlingsheimen untergekommen, während andere, insbesondere ältere Menschen, sich dazu entschieden hätten, in den besetzten Gebieten zu bleiben, berichtet der Ordensmann weiter: „Sie leben unter sehr schwierigen Bedingungen oder befinden sich dort, wo jeden Tag Bomben fallen. Die Hilfe für sie wird nicht selten von Freiwilligen, Polizisten oder Soldaten unter Einsatz ihres eigenen Lebens geleistet und rettet ihnen wirklich das Leben. Ich denke, dass diese Hilfe das wiederherstellt, was der Krieg versucht, wegzunehmen, nämlich die Menschenwürde.“

„Ich denke, dass diese Hilfe das wiederherstellt, was der Krieg versucht, wegzunehmen, nämlich die Menschenwürde.“

Zusammen mit den Freiwilligen von Fastov reist der Dominikaner regelmäßig in die durch die russische Besatzung verwüstete Gegend von Cherson und andere befreite Gebiete. Dort, wie grundsätzlich an den Frontgebieten, sei die Situation der Menschen in der Ukraine derzeit besonders schwierig, unterstreicht der Ordensmann: „Ich denke da zum Beispiel an Cherson, eine Stadt, die durch den Fluss Dnjepr getrennt ist. Auf der anderen Seite des Flusses befinden sich russische Truppen, die die Stadt seit langem regelmäßig beschießen. Trotzdem bleiben sehr viele Einwohner dort. Einige wollen nicht gehen, sie wollen nicht evakuiert werden, zum Teil aus Angst vor der Zukunft. Das sind vor allem ältere oder kranke Menschen, die sagen: ,Wohin sollen wir gehen, wer braucht uns irgendwo, wovon sollen wir leben? Wir ziehen es vor, in unseren Häusern, in unseren Wohnungen zu bleiben‘, auch wenn dies natürlich ein Risiko für die Gesundheit oder das Leben darstellt.“

„Ich denke, wenn wir unsere Liebe mit einem anderen Menschen teilen, wenn wir diese Liebe in Form von Nahrung oder anderen lebensnotwendigen Dingen teilen, dann ist das ein Moment, in dem Christus uns wirklich sein barmherziges Antlitz offenbart“

Vor einigen Wochen sei daher auch die von Papst Franziskus unterstützte Suppenküche um eine Bäckerei erweitert worden, um dort den Menschen täglich ein wenig Brot zur Verfügung stellen zu können. Betrieben wird das Projekt von freiwilligen Helfern des Hauses St. Martin de Porres, berichtet P. Krawiec weiter: „Im Zusammenhang mit dem Osterfest, das wir jetzt erleben, habe ich mir gedacht, dass die Emmausjünger, von denen wir im Evangelium lesen, dem Herrn Jesus beim Brotbrechen begegnet sind. Ich denke, wenn wir unsere Liebe mit einem anderen Menschen teilen, wenn wir diese Liebe in Form von Nahrung oder anderen lebensnotwendigen Dingen teilen, dann ist das ein Moment, in dem Christus uns wirklich sein barmherziges Antlitz offenbart.“

Das Beste aus dem Hier und Jetzt machen

Die Menschen, mit denen er in der Ukraine spreche, sagten ihm oft, dass sie „für den heutigen Tag“ lebten, meint der aus Polen stammende Dominikaner: „Heute ist die Zeit, aus der ich das Beste machen kann. Natürlich gibt es die Erfahrung des Krieges, die Aussicht darauf, dass man nicht weiß, was über Nacht passiert, was am nächsten Tag kommt, wie das Leben in einem Monat oder in einem Jahr aussehen wird. Ich denke, das ist auch eine Lektion für alle (…), um das Beste aus dem heutigen Tag, aus diesem Moment zu machen. Sich darüber zu freuen, dass der Mensch, den ich liebe, neben mir ist, oder dass dieser Mensch vermisst wird und ich etwas tun kann, um wieder bei ihm zu sein. Der Krieg schärft unseren Blick für die wichtigsten Dinge. Aber ich denke, es hat keinen Sinn, auf den Krieg zu warten, möge er nie nach Polen oder in ein anderes Land der Welt kommen. Es lohnt sich, die schmerzhafte Lektion zu nutzen, die das ukrainische Volk gerade lernt, und zu lernen, diese oft kleinen, aber im Alltag so wichtigen Dinge zu sehen. Wir sollten wichtige Dinge nicht auf morgen, übermorgen, nächstes Jahr oder das nächste Weihnachten verschieben, weil sie dann vielleicht ganz anders aussehen.“

„Wir sollten wichtige Dinge nicht auf morgen, übermorgen, nächstes Jahr oder das nächste Weihnachten verschieben, weil sie dann vielleicht ganz anders aussehen“

Die Ukrainer wünschten sich seit Ausbruch des Krieges vor allem eines, nämlich Frieden, schließt der Dominikaner-Vikar in der Ukraine: „Den äußeren Frieden auf dem Schlachtfeld, aber auch den Frieden in unseren Herzen. Frieden in unseren Gemeinschaften und Häusern.“

(vatican news)

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02. April 2024, 11:32