Suche

Das Gespräch bei der Residenz der Schweizer Botschafterin beim Heiligen Stuhl mit (von links) P. Paul Oberholzer, Botschafterin Manuela Leimgruber, Sekretär der vatikanischen Kinderschutzkommission Luis Manuel Alí Herrera, Historikerin Franziska Metzger und P. Hans Zollner. Das Gespräch bei der Residenz der Schweizer Botschafterin beim Heiligen Stuhl mit (von links) P. Paul Oberholzer, Botschafterin Manuela Leimgruber, Sekretär der vatikanischen Kinderschutzkommission Luis Manuel Alí Herrera, Historikerin Franziska Metzger und P. Hans Zollner. 

Schweizer Kirchenhistoriker fordert breitere Perspektive auf Machtmissbrauch

In der Residenz der Schweizer Botschafterin beim Heiligen Stuhl wurde am Donnerstagabend, dem 20. November 2025, der Tagungsband „La memoria del potere e del suo abuso“ (Die Erinnerung der Macht und seines Missbrauchs) vorgestellt. Das Werk, herausgegeben von Franziska Metzger, Paul Oberholzer und Hans Zollner, weitet die Debatte über sexuellen Missbrauch in der Kirche auf eine gesamtgesellschaftliche und historische Ebene aus.

Mario Galgano - Vatikanstadt

Der Band basiert auf einer Tagung an der Päpstlichen Universität Gregoriana im März 2024 und geht der Frage nach, welche Rolle Erinnerung und Vergessen bei der Festigung von Machtstrukturen spielen.

Hier hören Sie das Interview mit P. Paul Oberholzer von Mario Galgano

Missbrauch als gesellschaftliche Dynamik

Jesuitenpater und Kirchenhistoriker Paul Oberholzer, Professor an der Päpstlichen Universität Gregoriana (PUG), erklärte im Gespräch mit Radio Vatikan, das Buchprojekt sei aus der konkreten Erfahrung des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker entstanden. Ziel sei es jedoch, diese Erfahrung „auf eine größere gesellschaftliche Ebene zu heben“.

„Es geht darum, historisch zu untersuchen, welche Mechanismen eben zu Missbrauch, Machtmissbrauch, auch Erinnerungen führen“, so Oberholzer. Er fragte, ob solche Unrechtsstrukturen auch anderswo eine Rolle spielen und wie die Geschichtswissenschaft durch die Aufdeckung dieser Dynamiken in der Kirche für andere gesellschaftliche Phänomene sensibilisiert werden könne.

Botschafterin Manuela Leimgruber und die Teilnehmer der Gespräche
Botschafterin Manuela Leimgruber und die Teilnehmer der Gespräche

Sensibilität statt Empfehlungen

Der Kirchenhistoriker sieht die Aufgabe der Geschichtswissenschaft nicht in der direkten Erteilung von Ratschlägen an die Kirche, sondern in der Kreation einer neuen Sensibilität. „Der Historiker untersucht einmal zuerst und gibt nicht Empfehlungen ab“, betonte Oberholzer.

Er sieht großes Potenzial für weitere Forschung, etwa im Bereich des Verantwortungsbewusstseins im Mittelalter. Er verwies auf Darstellungen des Jüngsten Gerichts an Kathedralen, wo oft Bischöfe und Kleriker unter denjenigen waren, die in die Hölle geführt wurden. „Die Auftraggeber des Reliefs waren selber Bischöfe und Kleriker, das heißt, die wussten sehr genau, dass sie hohe Verantwortung haben und dass sie viel riskieren“, erklärte Oberholzer und schloss: „Es geht offensichtlich nicht um die Kirche der reinen Hände.“

Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld sei die Integration der Kolonialgeschichte in die Geschichtsschreibung der jungen Kirchen in den Missionsländern, um „positiv kritische Geschichtsschreibung“ zu ermöglichen.

Das auf Italienisch erschienene Buch
Das auf Italienisch erschienene Buch

Erinnerung als Schlüssel zur Rechenschaftspflicht

Die Mitherausgeberin Franziska Metzger von der Pädagogischen Hochschule Luzern betonte die transdisziplinäre Perspektive des Bandes: „Wie wird Macht und Machtmissbrauch erinnert, und welche Rolle spielt Erinnerung in der Festigung von Macht und Machtmissbrauch oder aber in der öffentlichen Kritik und Aufarbeitung von Machtmissbrauch?“

Hans Zollner, Professor am Institut für Anthropologie der PUG, hob die institutionelle Bedeutung hervor: „Eine konsequente Erinnerungskultur führt zu glaubwürdigem Engagement für Transparenz, Rechenschaftspflicht und wiederherstellende Gerechtigkeit.“ Dies sei zentral, um sicherere Lebensräume zu schaffen.

Die Schweizer Botschaft unterstützte die Herausgabe der italienischen Ausgabe, da diese „interdisziplinäre Auseinandersetzung zum Thema Machtmissbrauch auch einen wichtigen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen über sexuellen Missbrauch im Umfeld der Kirche leisten kann.“ Das Werk ist auch auf Englisch erschienen.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

21. November 2025, 11:19