Papst Leo XIV. und Safeguarding: Kleiner Zwischenbericht
Wie lässt sich das Treffen des Papstes mit Missbrauchsbetroffenen des Verbandes ECA vom Montag einordnen vor Hintergrund des Safeguarding in der katholischen Kirche?
ECA Global ist eine Menschenrechtsorganisation mit Mitgliedern aus sechs Kontinenten, darunter Aktivisten und Opfer sexuellen Missbrauchs. Sie sind vor allem in den USA aktiv, es sind aber auch Mitglieder aus der südlichen Hemisphäre im Vorstand, das Netzwerk versteht sich als global. Vielleicht hielt die Organisation die Zeit für reif, sich mit ihren Anliegen direkt an den Papst zu wenden, der selbst aus den USA stammt, wo kirchlicher Missbrauch schon länger Thema ist als in Europa. Papst Leo scheint ja eine gewisse Expertise zu haben, er hat auch in seiner Zeit in Peru an der Aufklärung von Missbrauch aktiv mitgewirkt und war im Bischofsdikasterium mit der Personalauswahl auch in dieser Hinsicht befasst. Ihre Anfrage stieß also auf fruchtbaren Boden, Leo hat sie eingeladen.
Von den Betroffenen wurde das Treffen mit dem Papst als sehr positiv beschrieben, ja „historisch“. Der deutsche Vertreter Katsch sprach von einem neuen Niveau. Es wurde laut den Berichten bei der ECA-Pressekonferenz dabei auch sehr konkret: Sie verlasen eine Erklärung an den Papst, und stellten außerdem ihr Projekt „Zero Tolerance Initiative“ vor, in dem sie „die Bedeutung einheitlicher globaler Standards und einer opferzentrierten Politik“ betonten. Der Vorschlag, der übrigens vom IADC-Safeguarding-Institut in Rom unterstützt wird, zielt etwa auf die permanente Entfernung von Priestern wie Ordensangehörigen aus dem kirchlichen Dienst, die begangenen Missbrauch zugeben oder denen Missbrauch kirchen- oder zivilrechtlich nachgewiesen wurde, sowie eine kirchenrechtliche Verankerung eines entsprechenden Mechanismus. Während der Privataudienz beim Papst diskutierten die ECA-Vertreter gestern auch über die Arbeit der Päpstlichen Kinderschutzkommission, die in der vergangenen Woche ihren zweiten Jahresbericht vorstellte.
Der Papst hat ja bei der Begegnung gestern eine Zusammenarbeit zwischen ECA und der Päpstlichen Kinderschutzkommission vorgeschlagen. Wie ist das einzuordnen?
Das ist ein wichtiger Aspekt. Man muss dazu wissen, dass ECA seit Jahren schon an konkreten Vorschlägen arbeitet, wie sich Safeguarding in der Kirche besser verankern lässt, auch kirchenrechtlich. Dass der Papst nun einen „Dialog“ zwischen beiden Gremien, also dem ECA-Betroffenenverband und der Päpstlichen Kinderschutzkommission angeregt hat, ist vielversprechend.
Bei der Pressekonferenz zum zweiten Jahresbericht der Kinderschutzkommission letzte Woche im Vatikan wurde von Journalistenseite kritisch angemerkt, dass für den Bericht nur einzelne Betroffene, keine Verbände einbezogen wurden, in Italien etwa sei der wichtigste Verband Rete L'Abuso gar nicht angefragt worden. Wenn sich die Kinderschutzkommission nun, auf Anraten des Papstes, tatsächlich mit Interessenverbänden, auch Aktivisten, auseinandersetzt, wäre das wirklich ein Zeichen der Glaubwürdigkeit. Bei der ECA-PK gestern war übrigens der größte italienische Betroffenenverband am Ende mit dabei (Francesco Zanardi, Rete L'Abuso) und hat weitere Aktivitäten im Bereich der Aufklärung angekündigt.
Grundsätzlich darf man eines nicht vergessen: Betroffene sind immer besonders verletzlich, und diejenigen, die mit der Kirche wieder ins Gespräch kommen, haben einen langen Prozess hinter sich, werden zu Fürsprechern für viele andere, die ihre Erfahrungen gar nicht publik machen können geschweige denn für eigene Interessen eintreten können. Dazu gehört Mut und Resilienz. Wenn das in einem Geist der Zusammenarbeit geschieht, ist das hoch anzuerkennen. Gemeinsam sind Missbrauchsüberlebende natürlich stärker, in Form von Verbänden können sie ihre Erfahrungen und Interessen besser einbringen. Papst Franziskus und Papst Leo haben beide signalisiert, dass sie Betroffene ins Zentrum stellen wollen, dass ihr Schutz de facto dem Evangelium entspricht und eine Kernmission der Kirche sein sollte. Wenn das so ist, muss man die Überlebenden nicht nur anhören einzeln hinter verschlossenen Türen, sondern sie zu Gesprächspartnern auf Augenhöhe machen, die Kirche mitgestalten – umso mehr, als dass sie in diesem Raum verletzt wurden.
Der Papst und der Kampf gegen Missbrauch: An welchem Punkt befinden wir uns gerade?
Der Kampf des Vatikans gegen Missbrauch beginnt nicht erst heute, sondern läuft schon eine ganze Weile, darüber haben wir hier bei Radio Vatikan mehrfach ausführlich berichtet. Aber: der Kampf wird sichtbarer und nimmt vielleicht auch jüngst an Fahrt auf. Man beginnt, stärker von den Betroffenen zu lernen und versteckt das nicht. Anzeichen dafür gibt es mehrere.
Zunächst das Treffen von Betroffenen und dem Papst gestern, unter der Überschrift „Null Toleranz“: Am Anfang war es hinter verschlossenen Türen und nicht vorab bekannt gegeben worden. Später wurde dann möglich, dass Fotos und Filmaufnahmen veröffentlicht wurden und es gab eine kurzfristig anberaumte anschließende Pressekonferenz von ECA. Das sendet die Botschaft aus: Transparenz, Sichtbarkeit. Alle Teilnehmer des Treffens betonten, der Pontifex höre Betroffene an, stehe an ihrer Seite - gemeinsam will man „Null Toleranz“. Dazu passend hatten die Audienz-Teilnehmer auch ein großes Holz-Kreuz mit der Aufschrift „Zero Tolerance" dabei. Dieser Slogan wurde ja schon unter Papst Franziskus geprägt, Papst Leo setzt ihn jetzt ins Bild, mit einer gewissen Natürlichkeit. Er hat den Brief des ECA-Verbandes gelesen und sie danach prompt eingeladen. Eine Woche davor hat er sich auch mit dem Münchner Betroffenenbeirat getroffen. Als Papst startet er sozusagen mit dem Empfang organisierter Verbände, Interessenverbände, er zeigte keine Scheu, ihre Forderungen anzuhören.
Weitere Anzeichen?
Ein weiteres Signal sehe ich im zweiten Jahresbericht der Kinderschutzkommission, der teilweise sehr explizit war, etwa was Italiens Kirche betrifft, der „kulturelle Resistenzen“ bescheinigt wurden und die eingeladen wurde, sozusagen ihre Hausaufgaben zu machen. Die italienische Bischofskonferenz CEI reagierte darauf mit einer Presseerklärung, in der sie aufführte, was alles geschehen sei in der letzten Zeit. Unabhängig davon, ob jetzt genug passiert ist oder nicht in Italien: Hier gibt es einen öffentlichen Austausch über das Thema – nicht versteckt hinter diplomatischen Floskeln, sondern mit offenem Visier, schon allein das ist ein Fortschritt. Und Italiens Kirche hat ja eine Art Vorzeige-Projekt, an das sie anschließen könnte – die Missbrauchsaufarbeitung in Bozen-Brixen, die sehr anstrengend ist, ja, das gehört dazu, die aber ein Beispiel ist, wie man es machen kann. Auch in punkto Kommunikation tut sich was; so war im Bericht der Kinderschutzkommission von opfersensibler Sprache die Rede. Betroffene können auch durch Worte oder schlechte Kommunikation nochmals verletzt werden, dafür braucht es ein Bewusstsein.
Und drittens?
Ja, auch in einen anderen Bereich ist eine gewisse Bewegung reingekommen: beim Schutz verletzlicher Erwachsener. Im zweiten Jahresbericht der Päpstlichen Kinderschutzkommission wird zu mehr Aufmerksamkeit für verletzliche Erwachsene gemahnt, die aus anderen Kulturen nach Rom kommen und dort aus verschiedenen Gründen abhängig sind. Ordensfrauen aus Entwicklungsländern, die mit wenig Geld und Sprachkenntnissen nach Rom kommen, sind sehr exponiert für Missbrauch, den es de facto gibt, auch in Rom.
Außerdem ist in Italien derzeit der Fall des slowenischen Mosaikkünstlers und ehemaligen Jesuiten Marco Rupnik, dem massiver geistlicher und sexueller Missbrauch von Ordensfrauen vorgeworfen wird, ein Thema. Wegen der Bekanntheit von Rupnik, dessen Mosaiken an Wallfahrtsorten weltheit hängen, strahlt der Fall weit über Rom hinaus. Der Vatikan hat jüngst die Richter für diesen Prozess benannt, die autonom und unabhängig arbeiten sollen, wie explizit betont wurde. Es handle sich um Frauen wie Kleriker, keiner habe ein Amt in der Kurie inne. Der Prozess gegen Rupnik wurde möglich, weil Papst Franziskus die Verjährung aufhob. Die Betroffenen waren mutig an die Öffentlichkeit getreten. Im Vatikan wurde im Zuge dieser Entwicklung eine vatikanische Arbeitsgruppe eingerichtet, die das Thema geistlicher Missbrauch kirchenrechtlich erschließen soll. Man nimmt sich also des Themas an.
Herzlichen Dank.
(vatican news - pr)
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