Philippinen: „Duterte-Opfer verdienen Gerechtigkeit“
Anne Preckel - Vatikanstadt
Rodrigo Duterte, der vergangenen Woche auf Haftbefehl am Flughafen von Manila festgenommen und in die Niederlande ausgeflogen wurde, ist inzwischen erstmals den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag vorgeführt worden. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem „Kampf gegen die Drogen“ vorgeworfen.
Präzedenzfall, der Hoffnung gibt
Dass sich der ehemalige Präsident in Den Haag verantworten muss, bezeichnete die Bischofskonferenz in einer Erklärung als wichtigen Präzedenzfall für die Aufarbeitung vergangener und künftiger Menschenrechtsverletzungen auf den Philippinen. Die Ordensoberen-Konferenz (CMSP-JPICC) forderte die amtierende Regierung auf, mit den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshof „uneingeschränkt zusammenzuarbeiten“: „Die Justiz darf nicht behindert werden, und Duterte und diejenigen, die seine Schreckensherrschaft durchgesetzt und ermöglicht haben, müssen die Konsequenzen ihres Handelns tragen. Hier geht es nicht um Rache, sondern um die Wahrung der Würde eines jeden Menschen, insbesondere der Armen und Schwachen.“
„Diese Tötungen waren kein Zufall, sondern Teil einer Politik, die das Recht auf Leben verletzte“, erinnert der auf den Philippinen wirkende Herz Jesu-Missionar James Espuerta MSC im Interview mit Radio Vatikan. „Die Familien der Opfer verdienen Wahrheit, Entschädigungen und Gerechtigkeit. Als eine Nation müssen wir garantieren, dass solche Verbrechen niemals wieder geschehen“, bekräftigt der Ordensmann. Der Haftbefehl gegen Duterte sei nicht nur eine juristische Angelegenheit, sondern ein „moralischer Aufruf zu Gerechtigkeit und Wahrheit“.
Frieden und Gerechtigkeit
„Diejenigen, die Gerechtigkeit suchen, wissen, dass nichts ihre geliebten Toten, die dem Krieg gegen die Drogen zum Opfer gefallen sind, wieder zum Leben erwecken kann. Die wirtschaftlich armen Familien haben Schwierigkeiten, vor einem philippinischen Gericht zu klagen, vor allem gegen einflussreiche Personen, die in der Regierung sitzen oder starken politischen Einfluss haben. Die Verhaftung von Duterte durch den Internationalen Strafgerichtshof ist daher ein erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit für sie. Wahrer Frieden kann nur entstehen, wenn vergangenes Unrecht anerkannt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“
Jahre lang hätten Angehörige, Menschenrechtsverteidiger und glaubensbasierte Organisationen Gerechtigkeit gesucht für tausende außergerichtliche Tötungen, Entführungen und andere Menschenrechtsverstöße, die sich vor allem gegen Arme und Menschen am Rande richteten. Von Duterte-Anhängern sei auf den Philippinen aktuell zu hören, Dutertes Verhaftung sei durch die aktuelle Marcos-Präsidentschaft begünstigt oder sogar geplant worden. Das sei für die Familien der Opfer zweitrangig, so Espuerta: „Für die Familien der Opfer mag das, was geschah, durch den politischen Streit zwischen zwei mächtigen politischen Familien begünstigt worden sein, aber wie sie sagen, war es ein versteckter Segen, dass die Opfer endlich Gerechtigkeit und einen moralischen Sieg errungen haben.“
Kultur der Heilung
Dutertes Verhaftung sei eine Mahnung daran, dass diejenigen, die ihre Macht missbrauchen, auf Dauer nicht ungestraft davonkommen können. Auch Präsidenten hätten sich Recht und Gesetz unterzuordnen. Allerdings gehe es jetzt nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit – und eine langfristige Heilung in der Gesellschaft. Genau die habe die katholische Kirche im Blick:
„Unsere Bischöfe ermutigen die Filipinos, über die Folgen der Politik von Duterte nachzudenken und über die Gewalt hinaus eine Kultur der Heilung zu schaffen. Die Gesellschaft hat einen stärkeren Sinn für Gerechtigkeit entwickelt, aber die Kirchenführer erinnern die Katholiken daran, dass es christlicher ist, nicht nur Gerechtigkeit zu fordern, sondern zugleich eine Kultur der Vergebung und Barmherzigkeit und Heilung aufzubauen.“
Die Vorwürfe gegen Duterte betreffen Straftaten, die während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Davao City und während seiner Präsidentschaft (2016-2022) begangen worden seien, darunter die Veranlassung von Hinrichtungen und systematischen Tötungen. Die beanstandeten Taten seien zwischen November 2011 und März 2019 begangen wurden, als die Philippinen noch Vertragspartei des Römischen Statuts waren. Daher ist die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) gegeben. Die Anklage sieht eine direkte Verantwortung Dutertes.
Red Tagging
Hat sich dieser autoritäre Umgang mit Kriminalität - oder denjenigen, die auf den Philippinen als ,kriminell‘ bezeichnet werden - inzwischen geändert? Bruder James Espuerta berichtet, dass auch der aktuelle philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr. bisweilen eine harte Hand zeigt. Auch heute gebe es außergerichtliche Tötungen, bestätigt der Missionar, wenn auch nicht in solchem Ausmaß wie unter Duterte:
„Was wir mitbekommen aus den verschiedenen Provinzen sind Meldungen und Nachrichten über über außergerichtliche Tötungen, aber sie stehen eher im Zusammenhang mit ,Red Tagging‘, also mit mutmaßlichen Mitgliedern der bewaffneten kommunistischen Gruppe ,New People's Army‘, die verhaftet und getötet werden und die deshalb versucht zurückzuschlagen.“
Das ,Red Tagging‘, also die Zuordnung zu einer solchen kommunistischen Gruppe, stelle auf den Philippinen eine konkrete Bedrohung von Leben, Freiheit und Sicherheit dar. Marcos Jr. ist dem Internationalen Strafgerichtshof, aus dem Duterte ausgetreten war, im Übrigen nicht wieder beigetreten.
Im Prozess gegen Duterte ist von mindestens 43 Morden im staatlichen „Kampf gegen die Drogen“ die Rede. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der Toten auf insgesamt bis zu 30.000 Menschen, wohingegen die Polizei von 6.000 Opfern spricht.
(vatican news)
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