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Pfarrer von Gaza: Menschen voll Hoffnung trotz Kämpfen

Zwischen Erleichterung, Erschöpfung und anhaltender Unsicherheit pendelt derzeit der Zustand der Menschen in Gaza angesichts der jüngst erzielten Fortschritte im Friedensprozess.

In der christlichen Gemeinde von Gaza-Stadt sei die Stimmung zurückhaltend hoffnungsvoll, erklärte Pfarrer P. Gabriel Romanelli in der Nacht auf Freitag in seinem täglichen Videobericht auf YouTube. Trotz der offenbar erfolgreichen Bemühungen um Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas seien weiter israelische Armeeangriffe und Bombenexplosionen wahrnehmbar gewesen, so der Geistliche. Von diesem Freitagvormittag ist die Nachricht, dass die Waffenruhe tatsächlich eingetreten sei. „Betet weiter für einen gerechten Frieden für Palästina und Israel“, bittet der Priester seine Zuseher.

Wenige Stunden vor Veröffentlichung des Videos hatte das israelische Sicherheitskabinett einem Abkommen mit der Hamas zugestimmt. Die Vereinbarung sieht ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen, den Rückzug israelischer Truppen sowie die Freilassung palästinensischer Häftlinge und der verbliebenen Geiseln im Gazastreifen vor. Es befinden sich noch 48 Geiseln im Gazastreifen. Mindestens 26 von ihnen sind nach israelischen Angaben nicht mehr am Leben, ihre Leichen sollen überführt werden. Israel verpflichtete sich in dem Abkommen im Gegenzug zur Freilassung von 250 palästinensischen Sicherheitsgefangenen mit lebenslänglichen Haftstrafen sowie von 1.700 Palästinensern, die seit Kriegsbeginn im Gazastreifen festgenommen wurden.

Internationale Kräfte, darunter aus den USA, Ägypten, Katar und der Türkei, sollen die Einhaltung der Vereinbarungen überwachen. Auch humanitäre Hilfe soll rasch ausgeweitet werden, hieß es. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dankte am Freitag US-Präsident Donald Trump und seinem Team in einer Mitteilung für die „außerordentliche Unterstützung“. Auch der israelische Präsident Isaac Herzog sprach den USA bei einem Treffen mit den US-Sonderbeauftragten Jared Kushner und Steve Witkoff am Freitag in Jerusalem seine Anerkennung für ihre entscheidende und historische Rolle bei der Rückführung der Geiseln, der Förderung der Sicherheit Israels und der Wegbereitung für eine neue Ära der Zusammenarbeit im Nahen Osten aus.

Größte Not in Gaza
Größte Not in Gaza

Lage bleibt angespannt

„Es ist eine gute Nachricht, dass es diesen ersten Schritt zum Frieden gibt“, betonte auch Pfarrer Romanelli. Die Menschen vor Ort seien gelassen und ruhig, so der Eindruck des aus Argentinien stammenden Ordensmannes, dem selbst große Erschöpfung und Müdigkeit anzusehen war. „Wir wissen, dass schon oft von Frieden gesprochen wurde. Aber diesmal scheint es ernst zu sein.“

Dennoch bleibe die Lage angespannt. Die Feindseligkeiten gehen weiter und beträfen auch die in der Pfarre wohnenden Flüchtlinge. Erst am Donnerstagmittag sei ein Flüchtling, der mit seiner Frau einen Termin im christlichen Krankenhaus wahrnahm, durch eine durchs Fenster eindringende Kampfdrohne verletzt worden. „Ein Schuss traf ihn im Bauch. Glücklicherweise waren keine Organe betroffen“, sagte der Priester. Ein anwesender Arzt - ebenfalls Flüchtling - habe sofort eine Notoperation durchgeführt. „Wir hoffen, dass es der letzte Verletzte war.“ Zwar gebe es derzeit deutlich weniger Opfer als in früheren Kriegsphasen, so Romanelli weiter, „aber jeder Tod ist eine Tragödie“.

Israelische Medien berichteten am Freitag, die israelische Armee habe mit dem Rückzug an die im Abkommen mit der Hamas vereinbarten Linien im Gazastreifen begonnen. Gleichzeitig bestätigte die Armee in der Nacht zu Freitag weitere Angriffe auf Ziele im nördlichen Gazastreifen. Diese hätten einer „Hamas-Terrorzelle“ gegolten, die in der Nähe von israelischen Soldaten operiert hätte. Die Hamas verurteilte die israelischen Angriffe im Westen der Stadt Gaza, bei der „über 70 wehrlose, unschuldige Zivilisten getötet und verletzt wurden“. Sie warf Netanjahu vor, „die Bemühungen der Vermittler zu stören und die Umsetzung des Abkommens zur Beendigung des Krieges und der Aggression gegen Gaza zu behindern“.

Zerstörungen in Gaza Stadt
Zerstörungen in Gaza Stadt

Nachkriegszeit wird „schrecklich“

Romanelli mahnte in seiner Videobotschaft, die langfristigen Folgen des Konflikts nicht zu unterschätzen: „Das Ende des Krieges in Gaza ist nicht das Ende eines Films. Die Nachkriegszeit wird schrecklich sein.“ Man dürfe nicht vergessen, dass Millionen Menschen weiterhin in Not lebten und alles verloren hätten. Die Wohnhäuser seien weitgehend zerstört, ebenso Schulen, Krankenhäuser, die Wasserversorgung und das Elektrizitätsnetz.

Betroffen sei auch katholische Gemeinde, denn drei christliche Schulen seien durch Bomben zerstört und die Pfarrschule noch immer voll mit Flüchtlingen, weshalb die Klassenräume nicht genutzt werden könnten. Die Pfarre versuche trotz der widrigen Umstände, mit provisorischem Unterricht für Kinder zu beginnen oder Freizeitgestaltung zu bieten, berichtete der Priester.

Hunderttausende Menschen, die in den Süden des Gazastreifens geflohen sind, wollten laut Romanelli zurück in den Norden, was derzeit wegen unterbrochener Verkehrsverbindungen jedoch nicht möglich sei. „Der Norden und der Süden bleiben vorerst getrennt.“ Es herrsche weiters Unklarheit darüber, wie viel Hilfe tatsächlich eintrifft und wie sie verteilt wird.

Pizzaballa sieht „Morgenröte“

Als „richtiger Anfang, etwas, das Hoffnung gibt“, bezeichnete der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, in der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ das Friedensabkommen im Nahen Osten. Es sei wie die Morgenröte am Ende einer langen Nacht. „Wir dürfen nicht naiv sein. Aber sicher ist: Eine lange Nacht geht zu Ende. Wir sehen die ersten Lichtstrahlen der Morgendämmerung - was nicht bedeutet, dass es schon Tag ist“, so der Kardinal.

Zwar sei der Weg zum Frieden noch lang und zahlreiche Hindernisse absehbar – „aber es ist jetzt auch an der Zeit, sich über diesen Moment zu freuen, der eindeutig positiv ist“, so der Franziskanergeistliche.

„Wenn der Krieg endet - falls der Krieg endet -, wird man die Realität wirklich erfassen können. Es geht um Menschen, die alles verloren haben: ihr Zuhause, ihre Arbeit, ihre Perspektiven.“ Pizzaballas Einschätzung nach würden wohl etliche den Gazastreifen verlassen, andere sich zum Verbleib entscheiden. Die Kirche werde weiter vor Ort sein, die Errichtung eines Krankenhauses und einer Schule seien bereits in Planung, so der Kardinal.

Der Patriarch bekräftigte seine Forderung nach zwei getrennten Staaten, dies bleibe „die ideale Lösung, die man den Palästinensern nicht verwehren darf“. Auch wenn dies kurzfristig nicht umsetzbar sei, dürfe auf diesen Grundsatz nicht verzichtet werden. „Ich stimme zu, dass wir uns der Realität stellen müssen. Genau deshalb wird es eine neue Führung auf beiden Seiten brauchen, die fähig ist, auf kreative Weise über eine Zukunft für diese beiden Völker nachzudenken“, so Pizzaballa.

(kap – pr)

 

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10. Oktober 2025, 12:07