Pizzaballa: „Der Weg zum Frieden wird lang sein“
Stefano Leszczynski – Vatikanstadt *
Das sagte Kardinal Pierbattista Pizzaballa in einem Interview mit „Chora Media“. Er sei erleichtert über die Unversehrtheit der Besatzungen der „Global Sumud Flotilla“. Die Aktion habe immerhin dazu beigetragen, dass das Thema Gaza in den öffentlichen Debatten präsent geblieben sei.
„Ich habe den Eindruck, dass das Drama in Gaza ein Bewusstsein für Würde geweckt hat, das zuvor im allgemeinen Bewusstsein unausgesprochen geblieben war. Jetzt ist es zum Vorschein gekommen, hat etwas geweckt, auch Empörung. Ich sehe viel Beteiligung, und das ist ein positiver Aspekt.“
Nichts habe sich jedoch hinsichtlich des Lebens im Gazastreifen geändert, erklärt der Kardinal: „Die Bilder, die uns erreichen, werden der Situation, die dort herrscht, nur teilweise gerecht. Die Zerstörung ist enorm, über achtzig Prozent der Infrastruktur sind zerstört. Es gibt Hunderttausende von Menschen, die in den letzten zwei Jahren mit ihrer ganzen Familie bis zu sieben Mal umziehen und fliehen mussten.“
Die Menschen in Gaza stehen vor dem Aus, so Pizzaballa. Er betont die Zerstörung von Krankenhäusern und die daraus resultierende mangelnde Gesundheitsversorgung. Das betreffe nicht nur Verwundete und Verstümmelte, sondern auch diejenigen, die normale medizinische Versorgung brauchen, etwa Dialysepatienten oder Krebskranke.
„Für die Jüngsten ist dies nun das dritte Jahr ohne Schule. Es ist sehr schwierig, von Hoffnung zu sprechen, wenn man keine Bildung bietet.“ Und dann sei da noch der Hunger: „Ein echter Hunger. Es fehlt an Obst, Gemüse und Fleisch, was einen Mangel an Vitaminen und Proteinen bedeutet. Kurz gesagt, es ist eine totale Katastrophe, und die Grenzen sind hermetisch abgeriegelt.“
Für die etwa 500 Menschen, die auf dem Gelände der katholischen Pfarrgemeinde von Gaza Schutz gesucht haben, ist die Lage nach Ansicht des Patriarchen sehr ernst: Unter ihnen seien viele Kranke, Behinderte und ältere Menschen, die könnten nicht weggehen, einfach weil sie die Reise nicht überleben würden. „Und wenn sie dort bleiben, bleiben auch unsere Priester und Ordensschwestern dort, ebenso wie der Rest der Gemeinde, es ist also keine politische Entscheidung“, erklärt Pizzaballa. „Aber ich finde es schön, dass diese Pfarrei beschlossen hat, dort zu bleiben, als Ort der aktiven, friedlichen Präsenz, ohne Angst.“
Für den Patriarchen von Jerusalem gibt es für das Ausmass der israelischen Militäraktionen im Gazastreifen keine Rechtfertigung. „Wir wussten, dass es nach dem 7. Oktober eine Reaktion geben würde, aber was jetzt geschieht, ist nicht zu rechtfertigen, es ist moralisch nicht akzeptabel! Besonders erschütternd ist die Grausamkeit gegenüber Zivilisten, diese Unmenschlichkeit, der Hunger, die Unsicherheit, die ständigen Vertreibungen, die Zerstörung von allem.“
Der Weg zum Frieden scheint dem Kardinal noch sehr weit zu sein. „Während wir sprechen, warten wir auf die Antwort der Hamas auf den sogenannten Trump-Plan, der sicherlich viele Lücken aufweist, aber kein Plan wird jemals perfekt sein… Und es ist nun an der Zeit; alle sind müde, erschöpft, ausgelaugt von diesem Krieg. Abgesehen davon ist jedoch klar, dass wir uns dem Ende nähern, und ich hoffe nun, dass es mit der Zustimmung der Hamas sofort kommt.“
Pizzaballa vermutet, dass die „Endphase dieses Krieges“ begonnen hat. Die Frage sei, was danach komme. „Das Ende dieses Krieges scheint nicht Frieden zu bedeuten. Frieden ist ein sehr anspruchsvolles Wort. Das Ende des Krieges ist nicht das Ende des Konflikts, der Konflikt wird noch lange andauern, vor allem weil die tieferen Ursachen dieses Krieges noch nicht angegangen wurden. Und weil der Hass, die Verachtung und der Groll, die dieser Krieg zwischen den beiden Völkern, dem israelischen und dem palästinensischen, ausgelöst hat, noch lange nachwirken werden.“
Das Trauma vom 7. Oktober
Kardinal Pizzaballa blendet aber auch das israelische Leid nicht aus. „Der Angriff der Hamas am 7. Oktober (2023) und die Frage der Geiseln waren für die israelische Gesellschaft ein tiefes Trauma. Israel wurde als Land gegründet, in dem Juden zu Hause sind, in dem sie sich vor allem sicher fühlen. Der 7. Oktober war ein großer Schock, denn es war das erste Mal seit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs, seit der Shoah, dass es zu einem Massaker von unvorstellbarem Ausmaß für sie kam und sie das Gefühl hatten, dass Israel kein sicherer Ort mehr ist. Das ist ein schweres Trauma.“
Von einem friedlichen Zusammenleben der beiden Völker zu sprechen, sei derzeit nicht möglich, erklärt Kardinal Pizzaballa: Es würde nicht verstanden werden. Zunächst müsse ein langer Weg zurückgelegt werden, auf dem auch die Schuld auf beiden Seiten in den Blick genommen und die Voraussetzungen für Vergebung geschaffen würden.
„Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Menschen gibt, die sich für den Frieden einsetzen. Sie sind eine wichtige Realität, denn wenn einmal die Zeit kommt, um wieder aufzubauen, dann werden diese Menschen gebraucht, weil wir Menschen brauchen, die noch den Mut haben, anders zu denken, außerhalb des Chors und außerhalb des Stroms, in den wir geraten sind. Ich glaube, dass es möglich ist, aber wir brauchen Führung, Visionen, jemanden, der den Mut hat, diesen Wunsch zu verkörpern.“
* Bearbeitung: Stefan v. Kempis
(vatican news)
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