Israel/Palästina: Staatengemeinschaft braucht Mut zu politischen Lösungen
Francesca Sabatinelli, Andrea Tornielli und Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Pizzaballa erklärte, der Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zum Gaza-Plan ändere „nichts im Territorium“, zeige aber internationale Zustimmung zu dem Projekt. Der Plan sei nicht perfekt, aber „das Einzige, was in diesem Moment die Ausweitung des Krieges gestoppt hat“. Er sah erhebliche Hindernisse bei der Umsetzung. „Wir wissen, dass die Hamas nicht die geringste Absicht hat, ihre Waffen abzugeben“, so der Kardinal. Auch Israel sei wohl nicht daran interessiert, vollständig aus dem Gazastreifen abzuziehen. „Beide Seiten mussten diesen Plan akzeptieren, aber sie haben ernsthafte Schwierigkeiten damit.“
Man müsse in dieser Lage konsequent bleiben, betonte Pizzaballa. „Die Vereinigten Staaten sind die Einzigen, die zusammen mit den arabischen Ländern und der Türkei sich durchsetzen können, denn derzeit reicht guter Wille nicht aus. Man muss auch den Mut haben, politische Lösungen durchzusetzen, die nach und nach zu klareren Perspektiven führen. Aber das wird viel Zeit in Anspruch nehmen und sehr mühsam sein.“
Zur humanitären Lage in Gaza sagte der Patriarch, einzig die Bombardierungen hätten aufgehört. Die Versorgung bleibe unzureichend. Hilfsgüter erreichten die Bevölkerung zwar regelmäßiger, jedoch „nicht im notwendigen Ausmaß“. Mit dem Winter verschärften sich die Probleme von Krankenhäusern, Unterkünften und Infrastruktur. Pizzaballa beschrieb eine Region, in der „Schulen fehlen, Krankenhäuser nur teilweise funktionieren“ und ganze Stadtteile unter Trümmern liegen. Zentrale Schritte der kommenden Monate seien das Räumen der Ruinen, das Bergen der Toten und das Planen eines Wiederaufbaus. Doch eine funktionierende Verwaltung gebe es nicht. „Während anderswo diskutiert wird, lebt die Bevölkerung weiter in denselben dramatischen Bedingungen.“
Radikale jüdische Siedler: Kardinal fordert internationale Proteste
Besonders alarmiert zeigte sich Pizzaballa über die Gewalt durch radikale jüdische Siedler im Westjordanland. Er berichtete von Übergriffen in Taybeh, einem christlichen Dorf, und in Aboud. Bewohner fühlten sich ohne Schutz. „Wir befürchten, dass diese Situation weiterbesteht und sich verschlimmert.“ Der Kardinal forderte Regierungen weltweit auf, deutlich Stellung zu beziehen – ähnlich wie zuletzt für Gaza. „Man kann nicht von einem politischen Prozess sprechen, wenn es ständig diese Aggressionen und Schwierigkeiten gibt. Ich sage das mit großem Bedauern, denn ich mag es nicht, immer zu kritisieren und mich gegen etwas auszusprechen, aber es ist die Wahrheit, und ich kann dazu nicht schweigen.“
Zu Berichten über Todesfälle palästinensischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen erklärte Pizzaballa, die Meldungen seien „alarmierend“. Er verfügte zwar über keine eigene Dokumentation, hielt aber fest, dass viele Medien, auch in Israel, darüber berichtet hatten. „Der allgemeine Klima der Gewalt ist überall spürbar.“ Der seit zwei Jahren andauernde Krieg habe die Denkweise vieler Menschen geprägt. „Wir sind von so viel Hass überflutet worden“, sagte er. Dieser Hass äußerte sich in Handlungen, in gestörten Beziehungen und in einem Klima der Vergeltung.
Mit Blick auf den interreligiösen Dialog sprach der Kardinal offen von einer Krise. Viele religiöse Führer hätten während des Konflikts „Botschaften wie die politischen Führer“ verbreitet und nur zu den eigenen Gemeinschaften gesprochen. „Fast niemand hat den Blick auf den anderen gerichtet, und wenn, dann nur in negativer Weise.“ Pizzaballa forderte einen Neubeginn des Dialogs zwischen Juden, Muslimen und Christen. Religionen dürften keine Inseln sein. Man müsste neu lernen, zuzuhören und den Schmerz des anderen wahrzunehmen. „Jeder fühlt sich als einzige Opferrolle und sieht den anderen als Täter“, sagte er. Diese Haltung verhinderte Versöhnung.
Er verwies auf Worte von Don Tonino Bello: Krieg beginne dann, wenn „das Gesicht des anderen verblasst“. Frieden, so Pizzaballa, beginne damit, den Schmerz des anderen zu hören. „Wenn du den anderen erkennst, erkennst du auch dich selbst. Wenn du den anderen verneinst, verneinst du dich selbst.“ Der Patriarch rief dazu auf, Wege zu öffnen, die das gegenseitige Erkennen wieder möglich machten. „Dinge ändern sich nicht von allein. Sie ändern sich, wenn jemand den Weg öffnet.“ Aufgabe religiöser Führer sei es, diesen Weg neu zu bereiten.
Pilger, kommt zurück
Mit Nachdruck lud der Patriarch darüber hinaus zu Pilgerreisen ins Heilige Land ein. Die Regionen, die Pilger normalerweise besuchten, seien sicher, das hätten auch die wenigen Gruppen bestätigt, die bereits gekommen seien. Pizzaballa erinnerte daran, dass die Heilig-Land-Wallfahrten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung der christlichen Gemeinden leisten. Viele arabische Familien, christliche wie auch muslimische, leben direkt vom Pilgertourismus. In der Kriegsphase hätten sie den Beistand der christlichen Kirchen erfahren. Nun beginne eine „neue Phase“, in der die persönliche Anwesenheit von Christen aus aller Welt zu einem Zeichen der Solidarität werde.
(vatican news - gs)
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