Sudan/Südsudan: Wenn Militärs das Volk zur Geisel nehmen
Vor zehn Tagen wurden im sudanesischen Bundesstaat Süd-Kordofan bei einem Dronenangriff auf die Stadt Kalogi ein Krankenhaus getroffen und ein Transport von Verwundeten. Und der Kindergarten al-Hanan. Die Bilanz: über hundert Tote, davon über die Hälfte Kleinkinder. Alltag im südlichen Sudan, wo ein erbitterter Krieg zwischen der RSF-Miliz und der staatlichen Armee tobt. Der Angriff auf den Kindergarten markiert – eine bittere Ironie – den zehnten Jahrestag der sogenannten „Safe Schools Declaration“, zu der sich 121 Staaten feierlich verpflichtet haben.
Die erneute Eskalation der Gewalt in der größeren Kordofan-Region zieht auch das Nachbarland Südsudan in Mitleidenschaft. Im Grenzgebiet liegen einige der wichtigsten Ölförderanlagen des Sudan, hier verläuft eine wichtige Rohöl-Pipeline. Erst an diesem Samstag greifen Drohnen das Ölfeld von Heglig an, das von den RSF kontrolliert wird; sieben Milizionäre sterben, weitere werden verletzt. Der aus Italien stammende Missionar Christian Carlassare ist Bischof von Bentiu, der Hauptstadt des südsudanesischen Bundesstaates Unity, der an den Sudan angrenzt.
Südsudan soll in den sudanesischen Krieg hineingezogen werden
„Der Sudan ist ein Land, das völlig in der Hand von Militärs ist“, sagt Carlassare in einem Interview mit Radio Vatikan. „Bei all dem scheint die Bevölkerung keine Rolle zu spielen; es gibt keinerlei Respekt vor dem menschlichen Leben. Es ist klar, dass die menschlichen Kosten dieses Konflikts, wie bei allen Konflikten, sehr hoch sind. Die Wirtschaft des Südsudans hängt hauptsächlich von der Erdölförderung ab, und darum muss der Südsudan seine Ölquellen und auch die Nutzung der durch den Sudan verlaufenden Ölpipeline schützen. Aus diesem Grund neigt der Südsudan dazu, im Sudan-Konflikt eine neutrale Position einzunehmen. Er muss aber sehr darauf achten, nicht in den Strudel des Konflikts hineingezogen zu werden, und dies scheint mir im Moment die Absicht des Sudan zu sein: den Südsudan hineinzuziehen.“
Flüchtlinge im Nichts
Aus der Sicht des Bischofs wäre das eine Katastrophe, weil der Südsudan – eines der ärmsten Länder der Welt – schon jetzt mit vielen internen Konflikten zu kämpfen hat. Außerdem, so denkt er, könnte man den Südsudan einmal für Friedensgespräche im Sudan brauchen. Beide Länder – Sudan wie Südsudan – würden derzeit von Militärs zur Geisel genommen. In Carlassares Bistum leben mittlerweile viele Flüchtlinge aus dem Nachbarland Sudan. „In einem Flüchtlingslager, das von Kapuzinern aus Polen betreut wird, leben 440.000 Menschen, von denen ungefähr die Hälfte katholisch ist. Die haben keine Arbeit – es gibt dort schlichtweg nichts. Dadurch wird die Kirche wirklich zu einem Ort, an dem sich die Menschen versammeln. Nördlich von Bentiu gibt es außerdem ein Gebiet, in dem sich etwa 80.000 Flüchtlinge befinden, hauptsächlich Sudanesen; in diesen Tagen, nach dem Angriff von Heglig, sind etwa tausend weitere Sudanesen dort angekommen. Ich will in diesen Tagen einmal dort hinfahren, um zu sehen, was sie jetzt am dringendsten brauchen.“
Er habe in den zwanzig Jahren, die er im heutigen Südsudan arbeite, „Licht und Schatten gesehen“, sagt Bischof Carlassare. Er habe sich über das Friedensabkommen von 2005 gefreut, das einem langen Bürgerkrieg ein Ende setzte, und über die Proklamation der Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011. Auf der anderen Seite der Medaille erlebe er die tiefe Wunde eines internen Konflikts, der das Land gespalten und das soziale Gefüge zerrissen, Millionen von Menschen zur Flucht gezwungen und in Elend gestürzt hat. Doch man dürfe den Traum von einem anderen Südsudan nicht aufgeben – einem Land, in dem „Kinder ohne Angst spielen können, Jugendliche zur Schule gehen können. Und in dem es für ein Mädchen nicht wahrscheinlicher ist, bei der Geburt zu sterben, als einen Schulabschluss zu machen“.
Den Konflikt an der Wurzel packen
„Wir möchten alternative Friedensgemeinschaften bilden und dabei Menschen aller ethnischen Gruppen einbeziehen. Wir träumen von der Schaffung einer geeinten Gemeinschaft, trotz aller ethnischen Unterschiede.“ Der erste Schritt zu einem neuen Südsudan müsste nach dem Dafürhalten des Bischofs darin bestehen, das Militär von der Macht zu verdrängen. Und für den Sudan gilt das ebenso. „Diese militärischen Gruppen bemächtigen sich der Ressourcen, um ihre Kampagnen fortzusetzen. Schon in der Zeit, als der heutige Südsudan noch zum Sudan gehörte, wurde ein Großteil der Wirtschaft vom Militär kontrolliert. Hier liegt ein ernstes Problem: dass das Militär die politischen Entscheidungen eines Landes bestimmt. Daher ist es notwendig, das Land durch eine zivile Regierung an die Bevölkerung zurückzugeben. Die internationale Gemeinschaft scheint aus Angst nur wenig Druck auszuüben; dabei ist es notwendig, den Konflikt an der Wurzel zu packen und diese unmoralische Militarisierung der Politik anzuprangern.“
Dramatische Kürzungen der Flüchtlingshilfe
Für das Nachbarland Sudan fordert der Bischof einen Waffenstillstand sowie humanitäre Korridore für Hilfslieferungen. „Derzeit gibt es jedoch erhebliche Kürzungen bei der humanitären Hilfe, was wir auch hier bei Bentiu sehen. In den Flüchtlingslagern gibt es Kürzungen, die die humanitären Organisationen in große Schwierigkeiten bringen – vor allem aber die Bevölkerung, die auf diese Hilfe angewiesen ist. Zumal es leider auch einen Staat gibt, der es nicht geschafft hat, eine Wirtschaft aufzubauen, die der Bevölkerung grundlegende Dienstleistungen garantieren kann. Diese Kürzungen der humanitären Hilfe sind sehr besorgniserregend, denn wir sehen, dass unsere Staaten sich mehr um Aufrüstung als um Friedensmaßnahmen und die Unterstützung vor allem der ärmsten Bevölkerungsgruppen kümmern. Und wir wissen, dass Waffen, wenn sie jetzt nicht eingesetzt werden, in Zukunft eingesetzt werden, wenn nicht von unseren Ländern, dann von denen, die sie eines Tages kaufen werden.“
Ruf nach einem Waffenembargo
Bischof Carlassare fordert Druck und Sanktionen aus der internationalen Gemeinschaft, um ein Waffenembargo für die ganze Region durchzusetzen. „Der Konflikt wird durch die kontinuierliche Lieferung von Waffen angeheizt. Daher sind sowohl gezielte Sanktionen gegen die Anführer und Verantwortlichen für Gewaltverbrechen als auch ein wirksames Waffenembargo gegen die Kriegsparteien erforderlich. Leider sind viele unserer (westlichen) Länder in diesen Markt verwickelt – wenn nicht direkt, so doch indirekt. Tatsächlich gibt es (westliche) Militärlieferungen an einige Länder, die man als ‚unverdächtig‘ bezeichnen könnte, von denen aus dann aber die Waffen in Länder wie den Sudan oder andere afrikanische Länder gelangen können.“
Das Interview mit Bischof Carlassare führte Cecilia Seppia von Radio Vatikan.
(vatican news – sk)
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